Norderstedt.

Wenn sich Ladendiebe vor dem Amtsgericht Norderstedt verantworten müssen, ähnelt es oft einem Schnellverfahren. Bei der zumeist strafrechtlich unstrittigen Beweislage ist ein Urteil deshalb zügig gefällt. Auch Igor S. (Name von der Redaktion geändert) saß wegen Ladendiebstahls vor Gericht, aber dieser Prozess war alles andere als ein Routinefall. Vorgeworfen wurde ihm, im Februar bei einem Lebensmittel-Discounter in Norderstedt einen gut gefüllten Einkaufswagen an der Kasse vorbei zum Ausgang geschoben zu haben. Der Wert der unbezahlten Ware: 118 Euro – die Anklage: Diebstahl.

Ladendiebe sind meistens Wiederholungstäter, gestehen die Tat und geloben mehr oder weniger glaubhaft Besserung. Anders Igor S.. Er hat einen russischen Pass, ist 45 Jahre alt. Mangels ausreichender Sprachkenntnisse stand ihm ein Dolmetscher hilfreich zur Seite. „Ich bitte um Entschuldigung. Ich bereue es tief“, ließ er ausrichten. Dabei hielt der Mann verschämt seine Hände vors Gesicht. Er kommt aus Grosny, der Hauptstadt der autonomen Teilrepublik Tschetschenien. In dem Gebiet kämpfen die Tschetschenen seit Jahren um ihre Unabhängigkeit von den Russen.

Igor S. gab an, in den Wirren des Bürgerkrieges zwei Jahre lang in russischer Gefangenschaft gewesen zu sein. Im Dezember 2013 sei er aus seiner Heimat geflüchtet und habe in Deutschland um politisches Asyl gebeten, der Antrag wurde abgelehnt. Ein vom Verwaltungsgericht Hamburg ausgesprochenes Abschiebeverbot erlaubt ihm jedoch ein ständiges Aufenthaltsrecht.

Warum er denn überhaupt zum Ladendieb geworden sei, wollte der Amtsrichter wissen. „Alkohol“, antwortete der Angeklagte geknickt. Sobald er etwas getrunken habe, werde er „irgendwie anders“. Deshalb könne er sich auch nicht erklären, warum er als Moslem Artikel mit Schweinefleisch in den Einkaufswagen gepackt habe. „Alkohol“, gestand Igor S. leise, „meide ich jetzt endgültig.“ Tief senkte er dabei den Kopf. Das Urteil: Drei Monate Haft mit Bewährung wegen Diebstahls.