Die Lauenburgers sind eine Puppenspielerfamilie mit sehr langer Tradition. Der Stammsitz befindet sich in Henstedt-Ulzburg.

Der Kasper ärgert gerade den Räuber Schwarzbart, die Kinder lachen und schreien Anweisungen auf die Bühne. Ilse Lauenburger sitzt am Fenster ihres Wohnwagens, blickt über den Platz an der Ochsenzoller Straße im Willy-Brandt-Park und lauscht auf die Geräusche aus dem Zelt. Sie kennt das und muss nicht immer dabei sein, zumal das Gehen immer schwerer fällt und sie nur noch selten den Wohnwagen verlässt. Im Dezember wird sie 90 Jahre alt, und fast ihr ganzes Leben hat sie im Kreise von Puppenspielern verbracht. Ilse ist das Oberhaupt der Familie Lauenburger.

Heinz-Hubert Lauenburger (38) und sein Vater Heinz haben auch moderne Stücke im Repertoire
Heinz-Hubert Lauenburger (38) und sein Vater Heinz haben auch moderne Stücke im Repertoire © HA | Privat

Ihre Söhne Heinz (61) und Hubertus (68) führen die Familientradition in der sechsten Generation weiter: Puppentheater für Kinder und manchmal auch für Erwachsene. Jeder Sohn führt sein eigenes Theater, sie ist mit Hubertus und seiner Familie unterwegs. Etwas anderes kann sie sich nicht vorstellen. „Ich habe immer in einem Wohnwagen gelebt, und hier fühle ich mich auch heute noch wohl“, sagt sie und blickt den Besucher schelmisch an. Dann hebt sie die Hand, winkt und schließt das Fenster. Der Familienverband funktioniert, Ilse Lauenburger ist auch im Alter gut aufgehoben. Schwiegertochter Manuela (55), Sohn Hubertus, die Enkelkinder David (36), Yvonne (25) und Yasmin (31) kümmern sich um sie. Die Familie ihres Sohnes Heinz, der mit seinem Puppentheater zurzeit im Raum Hannover tourt, sieht sie ein paar Mal im Jahr. Das Verhältnis unter allen ist sehr gut. Das ist mehr, als viele andere Menschen ihres Alters erwarten können.

Ilse Lauenburger ist das Oberhaupt der Puppenspielerfamilie. Sie wird im Dezember 90 Jahre und reist immer noch mit
Ilse Lauenburger ist das Oberhaupt der Puppenspielerfamilie. Sie wird im Dezember 90 Jahre und reist immer noch mit © HA | Frank Knittermeier

Die Lauenburgers sind ein fahrendes Volk. Seit fast 200 Jahren immer unterwegs von Ort zu Ort, selten länger als eine Woche an einem Platz. Hubertus Lauenburger nennt Schleswig-Holstein seine Heimat, aber die eigentliche Heimatadresse ist Henstedt-Ulzburg. Das ist seit 70 Jahren so und wird vermutlich die nächsten Jahrzehnte so bleiben.

Früher haben die Lauenburgers im Winter in den Gasthäusern der Region auch richtiges Theater gespielt
Früher haben die Lauenburgers im Winter in den Gasthäusern der Region auch richtiges Theater gespielt © HA | Privat

1945 kam Ilse Lauenburger mit ihren Eltern und 13 Geschwistern in Henstedt an. Die Flucht mit Wohnwagen aus Ostpreußen hatte die Puppenspielerfamilie mit ihren Wohnwagen ausgelaugt, aber die Köpfe der Theaterpuppen hatten die lange Tour in den Rucksäcken gut überstanden. Ganz in der Nähe der Alsterquelle stellte die Gemeinde Henstedt der Familie eine Weide zur Verfügung, wo die Wohnwagen abgestellt werden konnten. Es dauerte nicht lange, bis Ilse den Puppenspieler Karl Lauenburger kennenlernte und heiratete. Gemeinsam zogen sie mit ihrem Puppentheater los, aber Henstedt blieb der feste Standort: Dort war das Winterquartier, wo die Schausteller ihre Wohnwagen, das Zelt und die Bühne während der spielfreien Zeit überholen konnten. Heute sind die Lauenburgers nur noch ganz selten in Henstedt-Ulzburg, die Weide steht ihnen nicht mehr zur Verfügung. Aber die Postadresse mit Postfach ist geblieben. Von hier aus wird die Post nachgeschickt.

Hubertus und Heinz, die beiden Söhne von Ilse und Karl Lauenburger, erlebten die Welt des Puppentheaters von klein auf an. Während Hubertus als ältester Sohn den Betrieb seines vor 36 Jahren verstorbenen und in Kaltenkirchen beerdigten Vaters übernahm, gründete Heinz sein eigenes Puppentheater. Hubertus heirate seine Cousine Manuela, die Kinder kamen im damaligen Kreiskrankenhaus Kaltenkirchen und in der Henstedt-Ulzburger Paracelsus-Klinik zur Welt. Manuela stammt ebenfalls aus einer Puppenspielerfamilie – anders geht es nicht. „Als Schausteller ist es sehr schwierig, einen Partner kennenzulernen“, sagt Hubertus Lauenburger. „Wir sind ja nie längere Zeit an einem Ort.“ Seine eigenen Kinder haben keine Partner, aber Tochter Yvonne ist zuversichtlich. „Irgendwann wird der Richtige kommen, da bin ich ganz sicher.“

Im Puppentheater von Bruder Heinz und seiner Frau Barbara (58) wuselt hingegen schon die nächste, die siebte Lauenburger-Generation zwischen den Wohnwagen umher: Sohn Heinz-Hubert (38) und Ehefrau Angelique (29) freuen sich über Sohn Maikel (8) und Tochter Celina (2). Heinz-Hubert hat inzwischen die Leitung des Theaters übernommen, seine Eltern sind natürlich immer dabei. Dass Maikel eines Tages das Theater übernimmt, ist wahrscheinlich: Als Schaustellerkind muss er wöchentlich die Schule wechseln, den Sprung ins „bürgerliche Leben“ schaffen nur wenige von ihnen. Sie können sich irgendwann auch gar nichts anderes mehr vorstellen. „Natürlich hätte ich einen Beruf lernen können“, sagt Yvonne Lauenburger. „Aber das Puppentheater ist nun mal mein Leben, hier fühle ich mich wohl.“

Irgendwie scheint die Zeit stehen geblieben zu ein. Wer den Eingangsbereich des Puppentheaters Lauenburger verlässt, findet sich in einer anderen Welt wieder. Alles ist bunt bemalt, Märchenfiguren stehen neben dem Zelt auf der Wiese, Bilder des Kaspers und seiner Freunde sind an fast jedem Wohnwagen angebracht, im Zelt ertönt vor der Vorstellung nostalgische Schlagermusik.

Beim Puppentheater Lauenburger holt der Kasper seine „Klatsche-Radatsche“, um die Hexe Wackelzahn und den Räuber Schwarzbart gehörig zu vermöbeln. Das beeindruckt die Kinder tief: Während manche Mama gelangweilt mit ihrem Smartphone hantiert, sind die kleinen Zuschauer ganz aus dem Häuschen. Sie fiebern mit, wenn sich der Räuber samt Edelsteinen aus dem Staub machen will, und sie lachen schallend, wenn der Kasper statt Edelsteine nur Eselschweine versteht, statt Gnade Marmelade. Nichts hat sich verändert: Die Kleinen sind auch heute noch begeistert über die Abenteuer, die ihr Freund, der ewig grinsende Kasper mit der roten Zipfelmütze, die er so elegant um den Kopf wirbeln lassen kann, besteht.

© HA | Frank Knittermeier

Hubertus Lauenburger ist stolz auf sein Puppentheater, das er von seinem Vater Karl übernommen hat. Vorher waren Großvater Karl und Urgroßvater Julius die Betreiber der Puppenbühne. Alle zwei Jahre kommt die Familie Lauenburger nach Norderstedt, um hier die Puppen tanzen zu lassen. Und wie immer sieht alles adrett und akkurat aus: Die Wohnwagen sind bunt bemalt, die ebenfalls farbigen Zugmaschinen weisen keinen Dreckspritzer auf, alle Familienmitglieder sind gegenüber den Besuchern zuvorkommend und höflich. Die Lauenburgers scheinen so gut gelaunt wie der Kasper. Darauf achtet Hubertus Lauenburger. „Jeden Morgen ist mein Sohn draußen und macht die Autos sauber“, sagt der Chef des Familienclans. Ehefrau Manuela sitzt an der Kasse, Yvonne und Yasmin kümmern sich um den Verkauf von Süßigkeiten, Würstchen und Leuchtstäben, David hat die Technik im Blick und im Griff. Alle erfüllen ihre Aufgaben, damit jeder Vorstellungstag zu einem Erfolg wird.

Zwar kann auch Sohn David mit den Handpuppen spielen, aber Papa Hubertus ist derjenige, der meistens hinter der Bühne steht und eine Stunde mit hochgereckten Armen und Puppen auf den Händen Kaspers Abenteuer lebendig werden lässt. Er singt, krächzt, säuselt und schimpft mit seiner geschulten und per Mikrofon verstärkten Stimme, sodass mühelos das 400-Personen-Zelt beschallt wird. Der Auftrittsgesang des Kaspers lässt die Herzen der Kinder immer noch höher schlagen: „Tri Tra Trullala…“ Ehefrau Manuela steht hinter ihm und reicht im richtigen Moment die richtige Puppe, die Prinzessin Tausendschön spielt sie selbst.

Während sich Hubertus Lauenburger ausschließlich an Kasperstücke hält, haben Bruder Heinz und sein Sohn Heinz-Hubert auch modernere Stücke im Repertoire. Die Abenteuer von Pettersson und Findus zum Beispiel, „Rabe Socke“ oder „Meister Eder und sein Pumuckl“. Gelegentlich spielen auch für Erwachsene „Doktor Faust“. Aber immer wieder greifen auch sie auf die Kasperle-Abenteuer zurück.

Es sind in Deutschland auch kleinere Zirkusse unter den Namen Lauenburger unterwegs, sie gehören jedoch nicht zur Familie. „Es kann sein, dass sich die Zweige irgendwann mal getrennt haben“, sagt Hubertus Lauenburger. „Aber davon ist mir nichts bekannt.“

Die vom Großvater geschnitzten Handpuppen der Familie Lauenburger sind alle etwa
Die vom Großvater geschnitzten Handpuppen der Familie Lauenburger sind alle etwa © HA | Frank Knittermeier

Die Hauptakteure kommen erst kurz vor der Vorstellung aus der Kiste. Kasper und seine Gesellen ruhen in kleinen Schlafsäcken, bevor sie zum Leben erweckt werden. Auf diese Puppen ist Hubertus Lauenburger stolz: Sie sind alle etwa 80 Jahre alt und wurden von Großvater Karl liebevoll aus Linden- und Pappelholz geschnitzt, bemalt und benäht. Auch die Kulissen stammen noch aus Opas Zeiten. Hubertus Lauenburger selbst könnte heute keine Puppe mehr mit der Hand fertigen. Deshalb hegt und pflegt er seine kleinen Schätze auch – und zur Not hat er noch eine zweite Garnitur in den Kisten liegen. Die größeren Schätze stehen, sitzen und hängen aber in dem kleinen Puppenmuseum hinter dem Aufführungszelt. Nach der Vorstellung dürfen die Besucher die mehr als 200 Jahre alten Marionetten bestaunen, aber nicht anfassen.

Hubertus kann sich noch an Zeiten erinnern, als in den Gasthäusern im Winter auch richtiges Theater gespielt wurde. „Wenn meine Eltern und Großeltern früher von Dorf zu Dort gezogen sind, waren wir eine Attraktion“, sagt er. „Oft wurde von uns danach noch mit Instrumenten zum Tanz aufgespielt.“

Die Zeiten für Puppenspieler sind nicht einfach geworden. Computerspiele und Fernsehen haben zumindest bei den etwas älteren Kindern die Fantasie etwas verkümmern lassen. Aber die Kleinen lassen sich vom stets gewitzten Kasper immer noch begeistern. Eine ausverkaufte Vorstellung ist selten, 150 Besucher jedoch kommen vor allem an den Wochenenden oft, manchmal auch mehr. Natürlich ist das Publikum gemischt: Die Kinder verschwinden fast neben ihren Eltern und Großeltern, die oft ebenso fasziniert sind und in ihre eigene Kindheit zurück versetzt werden, wenn sie Kaspers stets erfolgreichen Kampf gegen die bösen Mächte miterleben.

Willy-Brandt-Park

Am heutigen Sonnabend spielen die Lauenburgers im Norderstedter Willy-Brandt-Park noch einmal das Stück „Räuber Schwarzbart“. Die Vorstellung beginnt um 14 Uhr; Kinder zahlen sechs, Erwachsene sieben Euro Eintritt.

Logenplätze kosten drei Euro mehr. Danach zieht das Puppentheater weiter nach Ellerbek im Kreis Pinneberg, wo an der Hasenheide/Ecke Moorkampsweg von Donnerstag bis Sonnabend, 10. bis 12. November, gespielt wird.

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Für die Familie Lauenburger reicht es zum Leben und Überleben. Reicht es auch, um Rücklagen anzusparen? „Wir haben Rücklagen“, sagt Clanchef Hubertus. „Ohne die ginge es gar nicht.“ So macht es ihm auch nicht viel aus, der Stadt Norderstedt freiwillig 2000 Euro Kaution für die Nutzung des Platzes an der Ochsenzoller Straße zu zahlen. Er weiß genau, dass nach dem Abbau nichts mehr auf das Gastspiel des Puppentheaters hindeuten wird. Doch wenn manchmal nur 20 Zuschauer im Zelt sitzen, wird es Hubertus Lauenburger mitunter schon mulmig. Aber seine Lebenserfahrung hat gezeigt: Irgendwie geht es immer weiter.

Nach der heutigen Aufführung in Norderstedt geht das Puppentheater nach Ellerbek. Dann wird das Winterquartier in der Nähe von Bremen bezogen. Dort hat die Familie auch eine eigene Wohnung, in der tatsächlich aber schon seit Jahren niemand mehr schläft. Zeit, um alles gründlich zu überholen, Zeit für die Familie sich selbst zu erholen. Erst im März 2017 geht es wieder auf Tournee, vorher stehen noch Gastspiele auf Weihnachtsmärkten auf dem Programm. Das große Zelt wird dafür allerdings nicht aufgebaut. „Nach einer so langen Pause kribbelt es auch wieder in den Fingern“, sagt Hubertus Lauenburger.