Norderstedt . Rathaus-TV, politisches Bildungsprogramm und mobile Wahllokale: Wie die Stadt versucht, den Bürger für Kommunalpolitik zu begeistern.

Sinkende Wahlbeteiligung und bürgerliches Desinteresse an der Kommunalpolitik: Die Parteien der Norderstedter Stadtvertretung und die Stadtverwaltung wollen eine breite Diskussion über den Zustand der Demokratie in Norderstedt führen. Ein umfangreiches Maßnahmenpaket zur Stärkung der Demokratie soll das Ziel sein. Dazu könnten ein politisches Bildungs- und Aktionsprogramm der Volkshochschule, Live-Übertragungen von Sitzungen der Stadtvertretung oder der Ausschüsse im Internet und mobile Wahllokale bei Wahlterminen gehören.

„Die Bürger müssen Demokratie als Wert an sich begreifen“, sagt Klaus-Peter Schroeder, Fraktionschef der FDP in der Stadtvertretung. „Doch kaum ein Bürger läuft mehr in die Stadtvertretung oder in die Fachausschüsse. Und zu den Wahlen auch nicht.“ Schroeder hat die Diskussion mit einem Prüfauftrag an die Verwaltung angestoßen, der die Möglichkeiten und vor allem die Kosten eines Maßnahmenpakets aufzeigen soll. „Die umfangreiche Antwort der Verwaltung liegt jetzt vor – und sie ist voller interessanter Anregungen. Besonders die Volkshochschule hat schnell und mit guten Ideen reagiert“, sagt Klaus-Peter Schroeder. Zur ehrlichen Diskussion gehört für Schroeder auch die Selbstkritik. „Die Gesprächs-, Diskussions- und Umgangskultur zwischen Bürgern, Verwaltung sowie den Fraktionen und Parteien gehört hinterfragt.“

Kommunalwahlen sind nur noch Minderheiten-Voten

Neben der mangelnden Beteiligung der Bürger an kommunalpolitischen Sitzungen und Diskussionen zeigt sich vor allem an der Wahlbeteiligung, wie wenig sich viele Bürger für die Geschicke der Stadt zu interessieren scheinen. Zur Wahl des Oberbürgermeisters gaben 2016 nur 15.254 von 63.500 wahlberechtigten Norderstedtern ihre Stimme ab (24,2 Prozent). 2010 waren es noch 26.351 Bürger (43 Prozent), 2005 kamen 27.887 an die Wahlurnen (47,1 Prozent). Abwärtstrend auch bei der Gemeindewahl: 2013 lag die Wahlbeteiligung bei 38,72 Prozent, 2008 bei 42,6 Prozent und 2003 bei 45,08 Prozent.

Auf den Prüfauftrag der FDP lieferte die Verwaltung eine umfassende Grundlage für die Diskussion in Norderstedt. Wir stellen die Maßnahmen im Einzelnen vor:

Neuerungen bei der Wahl: Wenn der Wähler nicht zur Urne kommt, kommt die Urne eben zum Wähler. Mobile Wahllokale sind in Norderstedt möglich. Die Verwaltung verweist auf einen Pilotversuch des Landeswahlleiters und des Amtes Bordesholm. Dort sollen zur Landtagswahl 2017 erstmals mobile Wahllokale eingesetzt werden. Norderstedt will diese Ergebnisse abwarten und dann entscheiden. Die von der FDP angedachte Zusendung von Briefwahlunterlagen an alle Wahlberechtigten ist hingegen nicht möglich. Das sei verfassungswidrig, sagt der Landeswahlleiter. Die Urnenwahl habe Vorrang, um jedem die Teilnahme zu ermöglichen. Junge Menschen sollen eingebunden werden, indem verstärkt Erstwähler bei der Bildung von Wahlvorständen in Wahllokalen eingesetzt werden sollen. Außerdem könnten an den Schulen Juniorwahlen laufen. Dabei werden Kommunalwahlen realitätsgetreu nachgestellt – eine demokratische Trockenübung.

Stadtvertretungs-TV im Internet: Das Live-Streamen der Stadtvertretungs-Sitzungen oder mancher Fachausschüsse ist eine Forderung, die lange in der Diskussion ist. Nun gibt es Zahlen und Fallbeispiele aus Nordrhein-Westfalen. Beispiel Wuppertal: Die Sitzungen des 66-köpfigen Rates werden seit 2013 von einem privaten Dienstleister für 1200 Euro je Sitzung im Netz live übertragen – in bester TV-Qualität. 300 bis 1000 von insgesamt etwa 340.000 Bürgern schauen regelmäßig zu. Alte Sitzungen lassen sich im Archiv anschauen. Das springen zu einzelnen Tagesordnungspunkten ist dabei möglich. Ähnlich verfährt Bottrop (seit 2012, 850 Euro je Sitzung, bis zu 300 Zuschauer). Einen anderen Weg geht die ehemalige Regierungsstadt Bonn, die seit 2009 überträgt, 8000 Euro in Technik investierte, jährlich 1000 Euro an ehrenamtliche Kameraleute bezahlt und mit ihren Live-Streams zwischen 300 und 700 Bürger je Sitzung erreicht. Haken: Datenschutzrechtlich muss jeder Sitzungsteilnehmer der Übertragung zustimmen – ansonsten darf er nicht gezeigt werden.

Poltisches Bildungsprogramm der Volkshochschule:
Unabhängig vom Prüfauftrag möchte die Volkshochschule mit ihren Angeboten die Demokratie stärken – dazu fühlt sie sich ohnehin verpflichtet. Erste Ideen für kommende Semester wurden bereits erarbeitet. Exkursionen für Wähler soll es nicht nur nach Berlin in den Bundestag, nach Brüssel ins Europaparlament oder ins Kieler Landeshaus geben, sondern auch in die Stadtvertretung und die Ausschüsse. Fotoausstellungen zum Thema „Gelebte Demokratie“ seien denkbar. Die Stadtbildstelle könnte Workshops an Schulen anbieten, bei denen Schüler Spots zur Kommunalpolitik machen. Vorträge von „charismatischen Politikern“ sollen organisiert werden, dazu müssten neue Dialogforen entstehen, die regelmäßig thematisieren, was in der Stadt Norderstedt los ist. Politische Abendgespräche bei Hempels oder Küchengespräche in der Lehrküche der Volkshochschule sind denkbar.

Die Stadtverwaltung schlägt vor, alle diese Vorschläge (ungeachtet der Kosten) im Ältestenrat der Stadt zu diskutieren. Klaus-Peter Schroeder stellt sich einen Arbeitskreis mit Teilnehmern aller Fraktionen der Stadtvertretung vor. Und natürlich soll der Bürger beteiligt werden.

Was denken Sie über das Maßnahmenpaket zur Stärkung der Demokratie in Norderstedt? Haben Sie zusätzliche Ideen? Schreiben Sie Ihre Meinung an
norderstedt@abendblatt.de.