Schleswig/Norderstedt. Ein Deal macht es möglich: Urteil schon nach vier Tagen – Kieler Landgericht verhängt Haftstrafen bis sechs Jahre für neun Personen.
Im „Mammutprozess“ gegen eine Autoknacker-Bande aus Litauen hat das Kieler Landgericht am Dienstag in Schleswig alle neun Angeklagten zu Freiheitsstrafen verurteilt. Je nach Anzahl und Gewicht der Tatbeiträge verhängte die Strafkammer Haftstrafen zwischen zwei Jahren und zwei Monaten und fünf Jahren und neun Monaten gegen die 23 bis 39 Jahre alten Männer.
Im Tatzeitraum Dezember 2013 bis Juli 2015 hatten die Litauer mehr als 200 Kraftfahrzeuge im ganzen Bundesgebiet aufgebrochen. Mal nahmen sie wertvolle Bordelektronik und anderes Diebesgut mit, mal verschoben sie die Pkw komplett nach Osteuropa. Der Gesamtschaden wird auf 1,5 Millionen Euro beziffert. Nur einen Bruchteil konnten die in unterschiedlicher Besetzung auftretenden Angeklagten als Gewinn verbuchen.
Bevorzugt stiegen die Autoknacker in deutsche Fabrikate wie VW, Mercedes und BMW ein und bauten aus, was sie kriegen konnten. Im Fokus standen hochwertige Navi-Geräte und Airbags. Fündig wurden sie vor allem in Bremen. Auf einem Güterbahnhof standen Dutzende fabrikneuer Edellimousinen auf Waggons bereit. „Unabgeschlossen und unbewacht“, so das Urteil. Man habe es den Angeklagten leicht gemacht.
In einem Dorf in Baden-Württemberg ließen die Täter Mitte November 2014 gleich zwei teure Mercedes-Fahrzeuge (Wert: 213 000 Euro) mitgehen. In anderen Fällen gaben sie sich mit ein paar CDs, einer Sonnenbrille oder einem Christbaumständer zufrieden. Als der Angeklagte Nerijus M. (36) am 3. Dezember 2013 aus einem VW Sharan in Henstedt-Ulzburg ein Handy entwendete und fleißig damit telefonierte, nahm die Kripo Norderstedt die zweijährigen Ermittlungen auf.
Aus Sicherheitsgründen in Schleswig verhandelt
Federführend war die Kieler Staatsanwaltschaft. So kam das Landgericht zu seinem zweiten großen Prozess gegen eine Tätergruppe aus Litauen. Gegen fünf weitere, jüngere Angeklagte wird gesondert vor dem Jugendgericht verhandelt. Wie im noch aufwendigeren und längeren Prozess „Litauen 1“ gegen zwölf Juwelenräuber verhandelte die Kieler Strafkammer aus Platz- und Sicherheitsgründen im Oberverwaltungsgericht in Schleswig.
Diesmal einigen sich die Beteiligten auf einen Deal: Als Gegenleistung für Geständnisse sichert die 10. Große Strafkammer den Angeklagten Strafobergrenzen zu. So kann der Vorsitzende Ralph Jacobsen nach nur viertägiger Beweisaufnahme das Urteil verkünden, das von der Anklage und vielen Verteidigern als Kompromiss des Machbaren bezeichnet wird. Ein streitiges Verfahren hätte die Kammer auf Jahre blockieren können. So aber rechnen alle Beteiligten damit, dass das am Dienstag verkündete Urteil rechtskräftig wird. Wie im Prozess gegen die Juwelenräuber misslang auch hier der Nachweis eines bandenmäßigen Vorgehens. Zu fließend sind die Strukturen der beiden Tätergruppen.
In der Urteilsbegründung zeigte der Vorsitzende Richter ein gewisses Verständnis für die Vorstellung der Litauer, sich aus ärmlichen Verhältnissen heraus „im vermeintlichen Schlaraffenland Deutschland zu bedienen“. Das jedoch werde die Justiz auch künftig nicht hinnehmen, so der Richter.