Norderstedt . Jeder Deutsche verbraucht im Schnitt 35 Einweg-Becher jährlich. Cafés und Bäckereien sollen daher nun wiederbefüllbare Becher anbieten.
Zunächst ein paar Zahlen, die beschämenden Resultate unserer Wegwerfgesellschaft: 30 Millionen Tonnen Plastikmüll landen jedes Jahr in den Weltmeeren, Zehntausende Plastikteile schwimmen heute auf jedem Quadratkilometer Wasseroberfläche. Seevögel, Schildkröten oder Fische verenden, weil sie das Zeug fressen.
Die globale Umweltzerstörung sorgt lokal für ein Gefühl der Ohnmacht: Was kann ich in Norderstedt schon tun, damit weniger Plastik ins Meer gelangt – ich trenn’ doch schon ganz brav meinen Müll. Das ist schon mal gut – aber es geht noch mehr.
Die Entsorgungsexpertin Petra Orth vom Norderstedter Betriebsamt zerbricht sich schon länger den Kopf darüber, wie sich Plastikmüll in der Stadt vermeiden lässt. Wenn jeder einzelne Mensch auf der Welt weniger Müll aus Kunststoff produziert, dann könnten irgendwann die Plastikmüllstrudel im Nordpazifik ihren Nachschub einbüßen. „Die Norderstedter Politik hat uns aufgefordert, etwas gegen Plastikmüll in unserer Stadt zu unternehmen“, sagt Orth. „Nun haben wir ein Konzept.“
Zuerst prüfte Orth, ob der Kampf gegen das gedankenlose Verwenden von Plastiktüten in der Stadt durch lokale Aktionen ausgebremst werden muss. Rechnerisch werden in Norderstedt pro Jahr 5,53 Millionen Plastiktüten im Jahr verwendet und größtenteils nach einmaliger Benutzung weggeworfen. Doch diese Zahl wird deutlich sinken. Denn: „Viele große Handelsketten haben da längst umgedacht: Plastiktüten gibt es gar nicht mehr oder nur gegen Gebühr. Auch bei den Bürgern wachse die Bereitschaft, die Tütenflut einzudämmen.“ Deswegen sieht das Betriebsamt in Sachen Plastiktüte keinen Handlungsbedarf und lenkt sein Engagement stattdessen auf ein spezielles Thema, über das sich auch viele Norderstedter noch bewusst werden müssen: der Coffee-to-go-Becher.
Auch hier sind die Zahlen gruselig. Aus 2,8 Milliarden Einweg-Bechern süffeln die Deutschen jährlich ihren Kaffee unterwegs, pro Stunde landen in Deutschland nach einer durchschnittlichen Nutzungszeit von 15 Minuten 320.000 Becher im Müll. Allein in Berlin summiert sich das auf 460.000 Becher täglich. Auf jeden Deutschen kommen rechnerisch 35 Becher jährlich, auf die 77.000 Norderstedter also 2.695.000 Becher im Jahr. Die muss man sich mal übereinander gestapelt vorstellen.
„Es gibt Becher aus Kunststoff beschichteten Papierfasern, aus Polystyrol oder welche mit Biokunststoff – aber sie alle sind Einwegbecher und belasten die Umwelt“, sagt Petra Orth. Die Lösung: Der Mehrwegbecher, wiederbefüllbare Behälter, die es in verschiedensten Formen auf dem Markt zu kaufen gibt. Einen aus Porzellan und mit Griffmanschette und Deckel aus Silikon wird bei der Volkshochschule im Rathaus samt Norderstedt-Logo angeboten. Müllexpertin Orth will mit einer Initiative in Norderstedt erreichen, dass immer mehr Menschen solche Becher verwenden. „Wir wollen an die Verkaufsstellen von Coffee-to-go in Norderstedt herantreten“, sagt Orth. Bäckereien und Cafés sollen angesprochen werden, ob sie sich an Mehrweglösungen beteiligen möchten. „Denkbar ist, dass die Verkaufsstellen eigene Mehrwegbecher anbieten. Und dass Leute, die ihre Becher mitbringen, einen Rabatt auf den Kaffee bekommen.“ Die amerikanische Kaffeehaus-Kette Starbucks gewährt Mehrweg-Kunden zum Beispiel 30 Cent Rabatt.
Nach der Sommerpause will Petra Orth soweit sein, dass sie der Politik die fertige Aktion „Coffee-to-go im Mehrwegbecher“ präsentieren kann. „Ich bin dankbar für jeden Anbieter, der sich jetzt schon bereit erklärt mitzumachen“, sagt Orth (Interessenten melden sich bei ihr unter Telefon 040/53 59 31 98).
Es gibt übrigens noch einen weiteren, etwas unappetitlichen Bereich, in dem die Norderstedter ziemlich viel Plastikmüll einsparen könnten: Hundekotbeutel. „Wir stecken 40.000 Beutel jeden Monat in die öffentlichen Ausgabestellen“, sagt Orth. Dazu kommen jene Beutel, die im Handel angeboten werden. Insgesamt verteilt die Stadt etwa 600.000 Beutel jedes Jahr in der Stadt. Samt Kot landen sie im Restmüll der Stadt. Doch eine Alternative zu den stabilen Plastikbeuteln hat das Norderstedter Betriebsamt noch nicht gefunden.
Unnötigen Plastikmüll produzieren nach Ansicht des Betriebsamtes auch Verlage, die ihre Zeitschriften in Plastik eingeschweißt an die Abonnenten schicken. Im Rathaus gebe es etliche Fachzeitschriften, die quasi vakuumverpackt im Briefkasten landen. Das Betriebsamt hat ein freundliches Schreiben an bislang fünf Verlage geschickt mit der Bitte, die Einschweißerei doch einfach sein zu lassen.