Bad Bramstedt/Neustadt. Lars Erik Thies und seine Kollegen der Bundespolizei fahren mit Booten vor Samos Patrouille. Das Abendblatt hat mit ihnen gesprochen.
„Lange musste ich nicht überlegen“, erinnert sich Lars Erik Thies. Als kurz vor Weihnachten die Anfrage kam, ob er für einen Einsatz in Griechenland bereit sei, sagte der 40-Jährige aus Glasau sofort zu. „Das Tagesgeschäft wird dort sein, Menschen aus Seenot zu retten. Damit war klar, dass ich dabei bin.“ Am gestrigen Montag sind Thies und seine Kollegen Michael Moll und Ulrich Saggau auf Samos eingetroffen. Viele Deutsche kennen die Insel als Urlaubsziel. Flüchtlinge aus der Türkei hoffen, über Samos nach Mitteleuropa zu kommen. Dass Männer, Frau und Kinder aus Syrien und anderen Ländern diese kurze, aber gefährliche Reise überleben – das wird eine der Aufgaben der Männer vom Bundespolizeipräsidium Bad Bramstedt sein.
Thies, Moll und Saggau sind normalerweise in deutschen Küstengewässern unterwegs und lösen in Griechenland Kollegen ab, die seit dem 1. März mit den Bundespolizeibooten „Börde“ und „Uckermark“ Patrouille rund um Samos fahren. Sie arbeiten mit Kollegen aus Estland, Schweden und anderen Ländern im Auftrag der europäischen Grenzschutzagentur Frontex und werden erst nach sechseinhalb Wochen nach Hause zurückkehren.
Huckepack auf einem Frachtschiff sind die kleinen Boote vom Stützpunkt der Bundespolizei See in Neustadt/Holstein im Februar in der Ägäis eingetroffen. Die kleinen Schiffe eignen sich mit ihremTiefgang von nur 1,20 Meter besonders für Rettungsaktionen vor den flachen und felsigen Gewässern der Insel. Ein gefährliches Seegebiet für die Flüchtlinge, die von ihren Schleppern auf seeuntüchtigen Schlauchbooten auf die etwa 20 Kilometer lange Reise von der Türkei nach Samos geschickt werden. Erst am Wochenende war nordöstlich von Samos ein Schlauchboot mit Flüchtlingen gekentert. Eine Frau und drei Kinder starben. Ein viertes Kind konnte zunächst aus dem Wasser gerettet werden, starb aber kurze Zeit später.
650 Menschen hat die Bundespolizei seit dem 1. März auf dem Mittelmeer zwischen Samos und der Türkei aus Seenot gerettet. Die meisten kamen aus Syrien, einige aus Eritrea und Burundi. Schwimmen konnten nur wenige. Die Schlepper waren nie an Bord. Sie wissen, dass sie in Griechenland pro aufgegriffenen Flüchtling mit einem Jahr Gefängnis rechnen müssen.
Kuscheltiere gesucht
Allein am 27. März rettete die Besatzung der „Uckermark“ 62 Migranten. Die Szenarien haben Thies, Moll und Saggau bei den wochenlangen Vorbereitungen für ihren Einsatz immer wieder durchgespielt und sich auch auf Extremsituationen vorbereitet: Wie können sie Menschen retten, die an einer felsigen Küste gestrandet sind? 20 Menschen kann ein Boot der Bundespolizei maximal aufnehmen, ohne die eigene Stabilität zu gefährden. Wie reagiert die Besatzung, wenn mehr Schiffbrüchige zu ertrinken drohen? Wie stellen sie sicher, dass keine bewaffneten Schlepper an Bord kommen?
„Die Boote, die entdeckt werden, sind fast alle in einem schlechten Zustand“, weiß Moll von seinen Kollegen, die er ablösen soll. Außerdem haben die Schlepper nur soviel Benzin in die Außenbordmotoren gefüllt, dass die Flüchtlinge bis nach Samos kommen. Damit bleibt ihnen kaum eine Chance, in Ruhe nach einem sicheren Strandabschnitt zum Anlanden zu suchen. „Die See kann besonders im Frühjahr sehr aufgewühlt und gefährlich sein“, sagt Moll, der mit seinen Kollegen auch psychologisch auf die Arbeit im Mittelmeer vorbereitet wurde. Im Notfall steht ein Kriseninterventionsteam für die 30 Polizisten des Kontingents bereit.
Bislang ließen sich alle Flüchtlinge bereitwillig von den Besatzungen der Bundespolizei aufnehmen. „Die Menschen sind bereit, ein hohes Risiko einzugehen, aber sie sind nicht lebensmüde“, sagt Moll. Die Flüchtlinge verstehen schnell, dass die Retter aus Deutschland sie sicher zu ihrem Ziel bringen werden – nach Samos. Ob das Abkommen zwischen den europäischen Ländern und der Türkei über Flüchtlinge etwas ändert, weiß bislang niemand genau. Die Türkei verpflichtet sich, Flüchtlinge zurückzunehmen, die auf die griechischen Inseln kommen und danach abgeschoben werden.
Auch Dunkelheit erschwert die Rettung. Thies, Moll und Saggau wissen, dass die Flüchtlingsboote meistens nachts unterwegs sind. Acht bis zehn Stunden wird jeder Törn dauern. Vier Bundespolizisten und ein Verbindungsbeamter der griechischen Behörden sind an Bord, wenn die „Uckermark“ und die „Börde“ Samos verlassen.
Wenn die Besatzung Flüchtlinge entdeckt, werden sie über das Heck auf das Polizeiboot geführt. Dort werden zwei Beamte stehen und den Menschen an Bord helfen. Die Polizisten sichern sich mit einem Seil, um bei einer Panik nicht ins Wasser gezerrt zu werden. Sie müssen auch ertasten, ob ein Flüchtling eine Waffe trägt. Platz bietet das Boot nur am offenen Bug. Unter Deck liegt ein Notfallrucksack mit medizinischer Ausrüstung bereit.
Per Skype hält Lars Erik Thies Kontakt mit seiner Familie in Glasau
Der Stockelsdorfer Moll übernimmt die Einsatzleitung. „Ich werde mit hinausfahren“, sagt er. Thies arbeitet an Bord als Nautiker. Saggau, der in Neumünster lebt, übernimmt den Dienst des Reservenautikers, kümmert sich um Schichtpläne und die Kommunikation mit den zahlreichen Polizeibehörden.
Anders als die Bundeswehr hat die Bundespolizei bislang wenig Erfahrungen mit Auslandseinsätzen auf See. Dennoch ist der Glasauer Thies davon überzeugt, dass Rettungs- und Grenzschutzeinsätze für Einheiten auf See grundsätzlich zum Job gehören. „Das macht man mit dem Herzen“, sagt Thies. Er lebt mit seiner Frau und seinen kleinen Kindern in dem kleinen Dorf zwischen Bad Segeberg und Neustadt/Holstein. „Der Rückhalt in der Familie ist da“, sagt Thies. Er ist froh, dass er dank moderner Kommunikationstechnik den Kontakt nach Hause halten kann. Per Skype wird Thies mit seiner Frau und den Kindern sprechen können. Der Bundespolizist und seine Kollegen wohnen auf Samos komfortabel in Einzelzimmern eines Hotels.