Norderstedt . Derzeit leben 900 bis 1000 Asylsuchende in der Stadt – deutlich weniger als noch vor ein paar Monaten erwartet
Noch im Dezember 2015 sah es phasenweise so aus, als ob Flüchtlinge in Norderstedt doch noch in Turnhallen untergebracht werden müssten. Bis zu 60 Menschen pro Woche strömten aus den Krisengebieten der Welt in die Unterkünfte der Stadt. Sozialdezernentin Anette Reinders und ihr Team arbeiteten an der Belastungsgrenze, planten und realisierten hektisch neue Unterkünfte für insgesamt bis zu 1600 Menschen.
Dann kamen der Winter und die nationalen Alleingänge der EU-Staaten auf der Fluchtroute auf dem Balkan. Seither hängen die Flüchtlinge hinter Grenzzäunen fest, griechische Orte wie Idomeni wurden als europäische Flüchtlingslager zweifelhaft berühmt.
Auch wenn sie die politischen Hintergründe für das Abebben der Flüchtlingswelle eher verurteilt, so kann Dezernentin Reinders eine gewisse Erleichterung über die Situation nicht verhehlen. „Wir haben in diesem Jahr bisher nur 130 Menschen aufgenommen. Wir sind zwar noch sehr weit von einem Leerstand in unseren Asylunterkünften entfernt. Aber die Situation in den Einrichtungen ist doch deutlich entspannt. Wir haben keinen Druck.“
Derzeit leben zwischen 900 und 1000 Flüchtlinge in der Stadt – deutlich weniger als noch vor ein paar Monaten erwartet. „Aber ich mache mir nichts vor“, sagt Reinders. „Die alternativen Flüchtlingsrouten werden bald funktionieren. Dann werden die Menschen kommen – und wir brauchen Platz.“
Überall in der Stadt werden die neuen Unterkünfte in solider Holzrahmenbauweise fertiggestellt. Am Müllberg nahe der Oadby-and-Wigston-Straße werden die Fundamente gegossen für Häuser, in denen bis zu 200 Menschen eine Heimat auf Zeit finden sollen. Nahezu fertig sind die Unterkünfte an der Ulzburger Straße, gegenüber von Akquinet (40 Plätze), am Wilden Moor und an der Stormarnstraße (je 60 Plätze) sowie die neuen Häuser am Buchenweg (100 Plätze).
Die entspannte Belegungslage gibt der Dezernentin bei der Verteilung der Menschen nun den Spielraum, den sie sich von Beginn der Flüchtlingskrise an immer gewünscht hat. „Ursprünglich war ich mit der Vorgabe gestartet: Ein Flüchtling, ein Zimmer“, sagt Reinders. „Heute sind zwei Menschen pro Raum Standard.“ Und es gibt immer noch Vier- und Acht-Bett-Zimmer, zum Beispiel in der alten Feuerwache Glashütte. Außerdem sind Flüchtlinge provisorisch bei Kleingartenvereinen untergebracht. „Diese Interimslösungen können wir durch den Bau der Unterkünfte nun alle auflösen“, sagt Reinders. Sollte sich der Zuzug der Flüchtlinge auf weiter niedrigem Niveau manifestieren, könnte auch über die Auflösung der Container-Wohnanlage für 100 Menschen am Harkshörner Weg nachgedacht werden. Ebenso will Reinders die Schule Fadens Tannen lieber heute als morgen wieder räumen und die Menschen in neuen Häusern unterbringen.
„Sollten wir in die wunderbare Situation kommen, dass wir die geschaffenen Kapazitäten an Unterkünften gar nicht für Flüchtlinge benötigen, dann droht nicht der Leerstand“, sagt Reinders. Vielmehr könnten dann die alten Unterkünfte am Buchenweg und an der Lawaetzstraße abgerissen werden. „Außerdem könnten wir die Obdachlosen, die am Langenharmer Weg leben, in die neuen Unterkünfte umsiedeln und die alten Häuser abreißen.“ Im Übrigen würden die jetzigen Unterkünfte so gebaut, dass sich hier auch problemlos günstige Wohnungen für sozial schwache Bürger einrichten ließen.
Nicht nur die erwachsenen Flüchtlinge bleiben derzeit aus – auch die sogenannten unbegleiteten Minderjährigen. Mit Hochdruck hatte sich die Stadt auf die Aufnahme von 63 Kindern und Jugendlichen vorbereitet, die ohne Eltern die Flucht gemeistert haben. Im ehemaligen Frauenhaus an der Alten Landstraße sollen die Kinder von einem Team des SOS-Kinderdorfes Harksheide betreut werden. „Doch es ist bisher keiner bei uns angekommen. Das Haus steht noch leer.“
Bereits in Norderstedt leben allerdings 80 Kinder und Jugendliche, die mit Onkeln, Tanten oder Freunden ihrer Familie geflüchtet sind. Sie wohnen gemeinsam unter lauter Erwachsenen in den Regel-Unterkünften. „Laut unserer Betreuungsträger haben ein Drittel von ihnen Bedarf an Jugendhilfe“, sagt Reinders. Sprich: Die Behörde muss sie aus den Unterkünften holen, sie gesondert betreuen, zur Schule bringen und erziehen, weil die Begleiter der Kinder und Jugendlichen das gar nicht leisten können. Falls die unbegleiteten Minderjährigen weiter ausbleiben, könnten die Kapazitäten für diese Kinder genutzt werden.
Anette Reinders erwartet trotz der momentanen Entspannung, dass bis Jahresende 1600 Flüchtlinge in Norderstedt leben werden. Es sei denn, Frank-Jürgen Weise, Präsident des Bundesamts für Migration, und seine Leute liefern. „Ich habe mir gerade in Berlin Herrn Weise bei einer Konferenz angehört. Er hat versprochen, bis Jahresende mit seinem Ministerium 1,2 Millionen Asylanträge abzuarbeiten.“ Derzeit sitzen in Norderstedt Flüchtlinge, die im November 2015 ankamen und erst im April überhaupt einen Antrag stellen können. Wenn sich die Antragsbearbeitung beschleunigt, können die Flüchtlinge auch früher damit beginnen, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Den keiner von ihnen möchte länger als nötig in den Unterkünften leben müssen.