Norderstedt. Bei einer Großrazzia waren 2013 Tiere des Zirkus Las Vegas beschlagnahmt worden. Nun wurde das Verfahren vom Amtsgericht eingestellt.

Es ist eine Achterbahnfahrt der Gefühle, die die Familie Köllner vom Zirkus Las Vegas erlebt: Erleichterung und Freudentränen verdrängen langsam die Wut auf so viel empfundene Ungerechtigkeit. Das Verfahren gegen Sohn Giuliano vor dem Amtsgericht Norderstedt ist wegen Geringfügigkeit eingestellt worden. Alle Kosten trägt die Landeskasse, der Dompteur ist zu entschädigen.

Rückblick: Es war im Morgengrauen des 8. Mai 2013, als gegen 6.30 Uhr ein Großaufgebot von mehr als 60 Polizisten mit Vertretern der Staatsanwaltschaft Kiel und Veterinären des Kreises Segeberg eine Großrazzia beim Zirkus Las Vegas startete, der gerade in Norderstedt gastierte (das Abendblatt berichtete). Den Schaustellern wurde laut Protokoll bis kurz nach 11 Uhr das Verlassen der Wohnwagen untersagt. Bis dahin wurden die Tiere auch nicht gefüttert, getränkt oder aus ihren Käfigen gelassen. Man habe die Situation „einfrieren“ wollen, beschreibt ein Polizist im Zeugenstand. Ziel war es, die Elefantenkuh Gitana ohne große Zwischenfälle unter Umständen zu beschlagnahmen. Vorbereitungen dazu waren zuvor getroffen, ein Gerichtsbeschluss besorgt worden.

Elefantenkuh Gitana wurde beschlagnahmt und dann verkauft
Elefantenkuh Gitana wurde beschlagnahmt und dann verkauft © Wucherpfennig | Wucherpfennig

Der Elefant wurde von einem Fachtierarzt narkotisiert und abtransportiert. Danach einigten sich Staatsanwaltschaft und Veterinärin, auch die anderen Tiere zu begutachten. Das Ergebnis: Der Hund des Angeklagten (er bekam ihn im Sommer 2013 gegen Zahlung von knapp 700 Euro zurück), seine zwei Tiger und beide Löwen wurden ohne Beschluss in ihrem Käfiganhänger – Eigentum des Zirkus’ – fortgeschafft, zur Beweissicherung und weil „Gefahr im Verzug“ sei, rechtfertigte die Staatsanwältin vor Ort den Abtransport – gegen sie laufen mittlerweile Untersuchungen.

Mindestens ein Tierarzt sah in seiner Aussage vor Gericht weder eine Gefahr noch einen Grund, so zu handeln. Es wurde auch festgestellt, dass mehrere Stunden Zeit gewesen wären, um einen richterlichen Beschluss zu beschaffen. Alle Tiere wurden zügig von der Staatsanwaltschaft Kiel notveräußert, das heißt verkauft, was sich nicht mehr rückgängig machen lässt.

Liane  Köllner tröstet während einer Prozesspause ihren Mann
Liane Köllner tröstet während einer Prozesspause ihren Mann © Heike Hiltrop | Heike Hiltrop

Während es für die Halter des Elefanten noch keinen Verhandlungstermin gibt, ging es am Mittwoch und Donnerstag nur noch um eine Löwin mit einem um ein Drittel gekürzten Schwanz sowie unkorrekte Cites-Papiere der beiden Tiger. Sie dokumentieren die Herkunft des Tieres und reglementieren den kommerziellen Handel. Doch nur wenn die in Ordnung seien, so das Argument der Staatsanwaltschaft, gebe es vom Veterinäramt eine Genehmigung zur „Zurschaustellung“.

Bereits am ersten Prozesstag stellte sich heraus, dass kein einziger der befragten Veterinäre bei seinen Kon­trollen vor der Beschlagnahme erkannt hatte, dass die Cites-Dokumente fehlerhaft waren. Zudem ließen sie sich ohne große Probleme und jederzeit korrigieren, ohne dass das Einfluss auf die Genehmigung der Zurschaustellung habe, so ein Zeuge.

Andere Tierärzte hatten bei Kontrollen nie etwas zu bemängeln gehabt

8. Mai 2013: Ein Großaufgebot von mehr als  60 Polizisten rückt in Norderstedt zu einer Großrazzia beim Zirkus Las Vegas an
8. Mai 2013: Ein Großaufgebot von mehr als 60 Polizisten rückt in Norderstedt zu einer Großrazzia beim Zirkus Las Vegas an © NDR I Welle Nord

Die Liste der am Tag der Fortnahme festgestellten Mängel war laut einer Segeberger Veterinärin lang: Kein Wasser, mal war das Zelt zu kalt, mal zu warm, es habe gerochen, die Raubkatzen und der Hund hätten stark uriniert, hervorgerufen entweder durch Aufregung oder einen Harnwegsinfekt. Die Löwin Sonja habe eine unversorgte, blutige Wunde gehabt. Doch keiner der zahlreichen Veterinäre, die den Zirkus regelmäßig kontrolliert hatten, letztmalig Ende April 2013, hatte ähnliches ausgemacht.

Ganz im Gegenteil: „Ohne Beanstandung“ lauteten etliche Einträge in die Dokumentation. Zeugen – alles Tierärzte und Veterinäre – sagten aus, dass die Raubkatzen ein ganz normales Verhalten zeigten, eine „homogene Gruppe“ bildeten, sogar erfreulich viel Platz hatten und einen gesunden Eindruck machten. Lediglich die Schwanzwunde besagter Löwin und deren Heilungsverzögerung wurden gelegentlich erwähnt. Dennoch sah kein Amtstierarzt bis Ende April Anlass dazu, einen Tierarztbesuch anzuordnen. Eine Veterinärin im Zeugenstand: „Die Löwin war okay, bis auf die Schwanzspitze.“ Es bleibt offen, ob sie wirklich Schmerzen hatte und wie lange.

Giuliano Köllner, 26, hatte stets betont: „Ich bin kein Tierquäler“
Giuliano Köllner, 26, hatte stets betont: „Ich bin kein Tierquäler“ © Heike Hiltrop | Heike Hiltrop

So stellte die Staatsanwaltschaft am zweiten Prozesstag fest, dass sich im Laufe des Verfahren herausgestellt habe, dass keine Straftat, sondern wohl eher eine Ordnungswidrigkeit vorliege. Daraufhin einigten sich Anklagevertretung, Staatsanwaltschaft und Richter Jan Willem Buchert darauf, das Verfahren wegen Geringfügigkeit komplett einzustellen. Richter Jan Willem Buchert: „Nach der Beweislage sehen wir es so, dass sich die Vorwürfe nicht halten lassen.“

Zu den nie bemängelten, fehlerhaften Cites-Dokumenten sagte der Richter: „Der Angeklagte muss nicht schlauer sein als die Behörde. Vorsatz ist nicht erkennbar.“ Buchert betonte zudem, dass das, was das Verfahren mit der Familie gemacht habe, und der Entzug der Existenzgrundlage zeigen, dass „die Verhältnismäßigkeit aus dem Blickwinkel verloren wurde“.

Verteidiger fordert sechsstelligen Schadensersatz

Verteidiger Frank Knuth nannte den Einstellungsbeschluss ein „annehmbares Ergebnis“, verwies aber erneut darauf, dass aus seiner Sicht vor zwei Jahren von Polizei und Staatsanwaltschaft Menschenrecht verletzt worden sei. Er werde Schadensersatz für die Raubkatzen, den erst nach Wochen zurückgegebenen Transporter und den monatelang einbehaltenen Hund in sechsstelliger Höhe fordern, so der Jurist.

Giuliano Köllner ist froh, dass alles vorbei ist und trainiert bereits wieder vier bengalische Tiger. Die seinerzeit beschlagnahmten Raubkatzen wurden nach Belgien geschafft, Löwin Sonja wurde der Schwanz ein zweites Mal operativ gekürzt. Sie und die zweite Löwin kamen in einen Park nach Südafrika, die Tiger in einen Zoo in Großbritannien.