Kreis Segeberg . Der Arbeitskreis Demenz will mit Veranstaltungen rund um den Alzheimertag zeigen, dass auch ein Leben mit Alzheimer lebenswert ist.

„Es gibt nicht nur ein Leben mit Demenz und seinen Problemen, sondern auch mit seiner Lebensqualität, Freude und Fröhlichkeit“, sagt Susann Piazza vom Norderstedter Pflegeteam. Sie engagiert sich im Arbeitskreis Demenz – gut 30 Vertreter stationärer Einrichtungen und ambulanter Dienste im Kreis Segeberg arbeiten mit, um sich über ihre professionelle Arbeit hinaus für Menschen einzusetzen, die die Welt vergessen und die Orientierung verlieren.

Zum Welt-Alzheimertag am 21. September will der Arbeitskreis unter dem Motto „Demenz – vergiss mich nicht!“ den Erkrankten und Angehörigen, die Betroffene pflegen, Abwechslung, Informationen und Spaß bieten.

Die Initiatoren wollen die, die nach und nach ihr Gedächtnis verlieren, aus dem Schattendasein befreien, sie für einige Stunden mitten in die Gesellschaft holen. Partner und Kinder, die Demenzkranke pflegen, sollen daran erinnert werden, sich selbst nicht zu vergessen, ihre Wünsche und Bedürfnisse, ihre schwindenden Kräfte.

Zwei Schauspielprofis werden aus „Der alte König in seinem Exil“ lesen – Arno Geiger erzählt in seinem Buch über seinen Vater, der ihn trotz seiner Alzheimerkrankheit mit Vitalität, Witz und Klugheit beeindruckt. Erinnerung und Orientierung lösen sich auf, und trotzdem ist sein Leben wert, gelebt zu werden.

Im Tanzcafé für Menschen mit Demenz verliert der Kopf seine Bedeutung und damit auch die Hirnfunktionen, die die Krankheit außer Gefecht gesetzt hat. „Da sind die Sinne gefragt, und da sind die Erkrankten unter sich, können loslassen, sich zur Musik wiegen, mitsingen“, sagt Mildenberger. Die Texte sitzen, das Langzeitgedächtnis kramt sie hervor, mit Interpreten wie Willy Schneider, Caterina Valente oder Udo Jürgens und Schlagern wie „Man müsste noch mal 20 sein“, „Itsy Bitsy Teenie Weenie Honolulu Strandbikini“ und „Griechischer Wein“ kehren Jahre zurück, in denen Alzheimer noch weit weg war (s. Info-Kasten).

In Kaltenkirchen und Bad Bramstedt hatten die Tanzcafés schon mehrmals geöffnet. Die Initiatoren sind mit der Resonanz zufrieden: „Die Menschen kommen raus und sehen was anderes“, sagt Ulrich Mildenberger vom Pflegestützpunkt im Kreis Segeberg mit Sitz in Norderstedt. Noch immer sei Demenz mit Tabus behaftet: Angehörige scheuten sich, anderen zu sagen, dass der Partner oder ein Elternteil erkrankt ist. Pflegekräfte wagten sich mit ihren Patienten nicht in die Öffentlichkeit, weil die sich „komisch und unnormal“ verhielten, zum Beispiel lauter sprechen.

Und doch haben die Mitglieder des Facharbeitskreises festgestellt: Demenz ist ein Stück weiter in die Mitte der Gesellschaft gerückt. Großen Anteil daran habe Til Schweigers Film „Honig im Kopf“, der die Geschichte von Tilda und ihrem an Alzheimer erkrankten Großvater Amandus erzählt. Mehr als sechs Millionen Menschen haben sich die Tragikomödie im Kino angesehen. „Der Film war der Wegbereiter für die allgemeine Erkenntnis, dass es Alzheimer wirklich gibt, und zwar mitten unter uns. Kindern wurde quasi erklärt, was passiert, wenn die Großeltern betroffen sind“, sagt Mildenberger.

Karin Sträter von der Stadtbücherei Garstedt: „Unsere Medienkisten zum Thema werden häufiger ausgeliehen.“ Unter dem Motto „Picknick im Labyrinth“ gibt es Filme, Spiele, Bilder, Musik und Fachliteratur.

Die Zahl der Erkrankten steigt rapide, sie hat sich den vergangenen 20 Jahren verdoppelt. Ursache ist, dass immer mehr Menschen immer älter werden. Mit dem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit, dement zu werden. Bei den 90-Jährigen und älteren leidet schon jeder Dritte an Demenz.

Fachleute gehen davon aus, dass bundesweit 1,5 Millionen Menschen betroffen sind. Im Kreis Segeberg dürften es, so Mildenberger, rund 4000 sein, in Norderstedt zwischen 1000 und 1500. Bis 2050 werde sich die Zahl nochmals verdoppeln. „Das ist eine Entwicklung, die sich nur mit vereinten Kräften bewältigen lässt“, sagt Susann Piazza, die es wie die anderen Mitglieder des Arbeitskreises begrüßt, dass sich hier Menschen trotz beruflicher Konkurrenz für ein Ziel einsetzen: das Verständnis für die Erkrankung und die Akzeptanz zu erhöhen.

Denn: Es herrsche noch immer Angst und Unwissen, wenn die Diagnose Betroffene und Angehörige trifft.

Der Arbeitskreis will helfen und aufklären. Wer Rat sucht, wendet sich an die Alzheimer Gesellschaft Norderstedt-Segeberg, Heidbergstraße 28, unter Telefon 040/528 83 83 0 oder per E-Mail-Adresse
an info@alzheimer-segeberg.de Die Termine

„Der alte König in seinem Exil“: Szenische Lesung des Romans von Arno Geiger am Dienstag, 15. September, ab 18.30 Uhr im Gemeindehaus der Marienkirche Bad Segeberg und am Mittwoch, 16. September, ab 19 Uhr im Gemeindehaus am Schlüskamp in Bad Bramstedt.

Tanzcafé mit Kaffee, Kuchen und Musik am Dienstag, 22. September, von 15 Uhr an, TSG Creativ, Stormarnstraße 38–40 in Norderstedt. Danach am Freitag, 25. September, 15 Uhr, Christophorushaus, Brookweg 1 in Kaltenkirchen und am Freitag, 11. September, 15 Uhr, Gemeindehaus am Schlüskamp in Bad Bramstedt.

Gottesdienste am Sonntag, 27. September, 11 Uhr, Michaeliskirche an der Kirchenstraße 2 in Kaltenkirchen, am Sonntag, 20. September, 9.30 Uhr, Versöhnerkirche, Falkenburger Straße 86 in Bad Segeberg und am Sonntag, 20. September, ab 10.30 Uhr in der Pfarrkirche am Sommerland 1 in Bad Bramstedt.

Das Spectrum-Kino in Norderstedt zeigt am Montag, 21. September, um 17.25 Uhr noch mal „Honig im Kopf“ zum Eintrittspreis von
4 Euro. Ein Euro wird an das Evangelische Krankenhaus in Alsterdorf gespendet.