Kisdorf/Henstedt-Ulzburg. Ein Kattendorfer und ein Kisdorfer erforschen, ob die Alster tatsächlich in Henstedt-Ulzburg entspringt – ein alter Streit.

In fast schon ketzerischer Manier wurden überraschende Fakten geschaffen. „Zweite Alsterquelle“, diese Bezeichnung entdeckte Björn Lindemann aus Kattendorf im Frühjahr beim arglosen Studium einer Wanderkarte der Aktivregion Alsterland. Etwas südlich der Landesstraße 233, gelegen im kleinen Kisdorfer Ortsteil Regel, einer Bauernsiedlung, soll der berühmte 56 Kilometer lange Fluss genauso seinen Ursprung haben wie in Henstedt-Ulzburg, wo Topografen seit dem 17. Jahrhundert die Alsterquelle lokalisieren? Irgendetwas passte da nicht zusammen, befand Lindemann. Der BWL-Student ging der Sache daher gemeinsam mit seinem Kumpel Florian Timm – einem Kisdorfer – auf den Grund.

Auf der Suche nach der wahren Alsterquelle: Bei einer Exkursion wurde das vermutete Quellgebiet der Alster erkundet
Auf der Suche nach der wahren Alsterquelle: Bei einer Exkursion wurde das vermutete Quellgebiet der Alster erkundet © HA | CHerbst@wmg.loc

Dabei wollten sie keineswegs der Gemeinde Henstedt-Ulzburg „ihre“ Quelle wegnehmen. Dort gibt es ein Alstergymnasium, viele Straßen tragen den Namen des Flusses, ein Tennisclub ebenso und auch Gaststätten. Im Nachbarort Kisdorf sind die Menschen hiermit zurückhaltender, doch wer alteingesessene Bürger auf das Thema anspricht, stößt sofort auf offene Ohren. So wie bei Marlene Hroch, der Gemeindearchivarin und Tochter des Dorfchronisten Ernst Kröger. „Mein Vater hat immer gesagt, dass die Alster bei uns entspringt. Das ist eben Lokalpatriotismus.“

Bei ihren Recherchen finden Björn Lindemann und Florian Timm diverse Indizien, die teilweise für, teilweise gegen ihre These sprechen. Im Jahr 1652 war beispielsweise der Husumer Historiker Caspar Danckwerth der Ansicht, dass die Alster oberhalb von Stegen aus zwei Quellflüssen, der Alten Alster und der Rönne, im Bereich des Nienwohlder Moors entsteht.

Die Alsterquelle in Henstedt-Ulzburg
Die Alsterquelle in Henstedt-Ulzburg © HA | CHerbst@wmg.loc

Durch Kanalbau und Landwirtschaft trocknete dieser Arm jedoch zunehmend aus. Schuld daran war insbesondere der Alster-Beste-Kanal, der seinen Zweck nie erfüllte und nach wenigen Jahren wieder stillgelegt wurde – die Moore hatten zu diesem Zeitpunkt aber bereits viel Feuchtigkeit verloren.

Die Hansestadt Hamburg benötigte jedoch Wasser für ihre Mühlen, und so kam 1768 ein Vertrag mit Dänemark zustande, wodurch Zuflüsse aus östlicher Richtung verbreitert werden durften – und zwar bis zum Henstedter Moor bei Timmhagen, wie Volkmar Zelck in seiner „Ortsgeschichte Hen­stedt-Ulzburg“ (1996) aufschrieb.

Entsprang die Alster aus Nienwohlder Moor?

1885 stellte die Freie Turnerschaft in der heutigen Großgemeinde einen ersten Gedenkstein auf, der die Alsterquelle markierte. Der Dichter Detlev von Liliencron schrieb in seinem Roman „Leben und Lüge“ (1908) über die Alsterquelle in Henstedt-Ulzburg. „Jeder in Hamburg Geborene müsste verpflichtet sein, wenigstens einmal in seinem Leben hinzugehen, um dort mit übereinander geschlagenen Armen seine tiefe Verbeugung zu machen vor der heiligen Quelle.“

Einige Heimatkundler sind da weniger euphorisch. So wie Heinrich Carl Dannmeyers, ein Lehrer aus Kisdorf. „Am südlichen Abhange des Rathkrögen liegt eine Quelle, die ihre Wasser in das Alstergebiet des Henstedter Wohld sendet“, schreibt der Pädagoge Anfang des 20. Jahrhunderts.

Kisdorfs Gemeindearchivarin Marlene Hroch mit Björn Lindemann und Florian Timm. Diese wollen erkunden, ob die tatsächliche Alsterquelle nicht eher in Kisdorf ist und nicht wie allgemein angenommen in Henstedt-Ulzburg
Kisdorfs Gemeindearchivarin Marlene Hroch mit Björn Lindemann und Florian Timm. Diese wollen erkunden, ob die tatsächliche Alsterquelle nicht eher in Kisdorf ist und nicht wie allgemein angenommen in Henstedt-Ulzburg © HA | CHerbst@wmg.loc

Das ist Wasser auf die Mühlen der Zweifler. Der Rathkrügen, mit 91 Metern übrigens genauso hoch wie der Kalkberg in Bad Segeberg, speist in der Tat ein weitläufiges Feuchtgebiet. Viele kleine Bäche entspringen hier, sie sind unter anderem auch im Kisdorfer Gemeindewappen mit sechs blauen Kreisen symbolisiert. Am ehesten bietet sich offenbar die Wischbek als potenzielle Quelle der Alster an. „Sie hat ihren Ursprung auf einer Wiese östlich vom Friedrichstaler Weg“, sagt Marlene Hroch. „Dort gibt es einen alten und einen neueren Brunnen, daraus wird die Wischbek gespeist.“ Zunächst läuft das Wasser verrohrt in eine Senke, schließlich tritt es zutage und wird von mehreren Sumpfgebieten und Rinnsalen weiter gespeist. Die Wischbek mündet schließlich in westlicher Richtung, kurz hinter der Hohnerbergbrücke, auf einer Höhe von knapp sechs Kilometern in die Alster.

Fließrichtung spricht für Henstedt-Ulzburg

Offiziell gilt er damit als einer von 21 Nebenflüssen. Ein Problem ist die Fließrichtung der stark mäandernden Alster, die nur Henstedt-Ulzburg als Quellort zulässt – auch wenn der Standort Kisdorf höher über dem Meeresspiegel liegt. Eine bronzene Gedenkplakette, geschützt von einem Steinwall, wie in Henstedt-Ulzburg gibt es sowieso nirgendwo in dem Gebiet rund um den Rathkrügen. Eingeweihte wissen eben Bescheid. Hroch bleibt also dabei: „Patriotisch gesehen ist klar, wo die Quelle lokalisiert werden müsste.“

Sie lädt Björn Lindemann und Florian Timm zu sich in die Ole School ein, wo das Kisdorfer Archiv im ersten Stock untergebracht ist. Dort gibt es eine Fülle an Kartenmaterial – je älter, desto weniger genau. Aber zumindest wird deutlich, dass der Alsterverlauf nicht immer eindeutig war und sich über die Jahrhunderte mehrfach verändert hat. Eine Exkursion in Kisdorf-Regel bringt allen Beteiligten zwar Mückenstiche, aber keine goldene Erkenntnis. Es bleibt eben eine Glaubensfrage.