Norderstedt . Der Vorwurf: Es werde immer weniger gegen Ratten unternommen. Stadt Norderstedt bestreitet das und will nichts von einer Plage wissen.
Manfred Bolz kommt mit einem schneeweißen Peugeot-Kastenwagen zum vereinbarten Treffpunkt vor einer Norderstedter Firma. Nichts an dem Auto weist darauf hin, welche Dienste Bolz anbietet. Diskretion wird großgeschrieben. „Sie müssen wissen: Der Deutsche hat keine Ratten in seinem Haus oder auf seinem Grundstück. Niemals. Eigentlich gibt es gar keine Ratten. Und mich auch nicht“, sagt der Schädlingsbekämpfer Bolz und lacht. Seit 30 Jahren ist er in Norderstedt, Hamburg und Lüneburg einer der größten natürlichen Feinde der widerstandsfähigen Nager mit den langen Schwänzen.
Gut zu tun hat Manfred Bolz in diesen Tagen. Und auf Sicht wird das eher noch mehr als weniger. Die Geschäftsprognose von Manfred Bolz wirkt wie eine Drohung: „In Norderstedt und in vielen anderen Kommunen in Deutschland werden die Rattenpopulationen explodieren“, sagt Bolz. „Ich kann das jetzt schon in Norderstedt erkennen.“
Keine Zunahme bei Rattenmeldugen
Rattenplage in Norderstedt? Tatsächlich gab es in Henstedt-Ulzburg kürzlich Meldungen über verstärkte Rattensichtungen. Aber in Norderstedt? „Wir können keine Zunahme der Rattenmeldungen in der Stadt feststellen“, sagt Stadtsprecher Bernd-Olaf Struppek. „Von einer Rattenplage kann nach unseren Erkenntnissen nicht die Rede sein.“
Rattenbekämpfer Bolz sieht das ganz anders. Und die von ihm prognostizierte künftige Zunahme der Populationen sieht er strukturell bedingt. Denn aus seiner Sicht haben sich die Bedingungen im Kampf Mensch gegen Ratte entscheidend zugunsten der Ratte verändert. „Ich bin kein Rattenbekämpfer mehr, ich bin ein Rattenbeobachter geworden“, sagt Bolz.
Seit 2013 die sogenannten Risikominimierungsmaßnahmen (RMM) nach EU-Recht in Deutschland eingeführt wurden, beobachtet Bolz eine zunehmende Verschlechterung in der Rattenbekämpfung. Die RMM sollen dafür sorgen, dass nur noch so wenig Rattengifte wie unbedingt nötig in Umlauf kommen. Die Zeiten, in denen einfach dauerhaft Gift ausgelegt wurde, sobald Rattenbefall auf Grundstücken oder Gebäuden festgestellt worden war, seien vorbei, sagt Bolz. Jetzt müsse der Rattenbekämpfer den Gifteinsatz auf wenige Wochen begrenzen, er müsse ständig die Fallen kontrollieren, sie entsprechend kennzeichnen und alles genau dokumentieren.
„Wer die RMM exakt einhält, muss dem Kunden erheblich mehr in Rechnung stellen als bisher.“ Der Deutsche Schädlingsbekämpfer-Verband bezifferte die Kostenexplosion bei der Nagerbekämpfung mit dem Faktor 5. „Gerade für klamme Kommunen wird das jetzt in Deutschland zum Problem“, sagt Bolz. „Eine Mittelstadt in dieser Region hat kürzlich die Rattenbekämpfung ausgeschrieben. 30.000 Euro pro Jahr haben die bisher bezahlt. Jetzt müsste ich denen eigentlich mindestens 80.000 Euro berechnen. Ich habe mich gar nicht erst beworben. Ich könnte das als kleiner Betrieb auch gar nicht leisten.“
Dass andere Anbieter mit Angeboten von deutlich weniger als 80.000 Euro dann in solchen Städten den Zuschlag bekommen, lässt für Bolz nur einen Schluss zu. „Entweder ignorieren die Kollegen die RMM oder die schränken ihre Leistungen ein.“ Deswegen rechnet er mit der Zunahme der Nager.
Bolz verzeichnet eine Zunahme der privaten Kunden um 30 Prozent. Viele seien geschockt von den Kosten, die mancher Anbieter plötzlich berechnet. „Ich hatte eine Dame, die 2300 Euro pro Jahr für die Bekämpfung auf ihrem Einfamilienhausgrundstück bezahlt hatte. Die Leute sind nicht bereit, solche Preise zu bezahlen und stellen die dauerhafte Rattenbekämpfung ein.“
Bei der Stadtverwaltung betont Sprecher Struppek, dass es im Vorgehen der Stadt bei der Bekämpfung der Ratten keine Zäsur gegeben habe. Es werde mit derselben Intensität und Gründlichkeit vorgegangen wie immer. „Auch unsere Mitarbeiter im Betriebsamt sind bei der Bekämpfung der Ratten in der Kanalisation fest eingebunden. auch hier sind uns keine Häufungen bei den Rattenpopulationen bekannt“, sagt Struppek.
Ratten melden!
„Es gibt keine Plage und wird auch keine geben“
Bei der oberirdischen Bekämpfung der Ratten arbeitet die Stadt mit der Firma Clean Team in Norderstedt zusammen. Der Geschäftsführer Stephan Heuer will von einer Rattenplage nichts wissen: „Damit können Sie das Sommerloch in der Zeitung nicht füllen. Es gibt keine Plage, es wird auch keine geben. Die Lage in Norderstedt haben wir absolut im Griff“, sagt Heuer. Er kann nicht erkennen, dass sich die Kommune Norderstedt aus der Rattenbekämpfung zurückziehe. „Im Gegenteil: Die sind da alles andere als knauserig.“ Die RMM und ihre Umsetzung in der Bekämpfung findet er richtig und wichtig. Der übermäßige Gifteinsatz sei unnötig. Heuer: „Wenn Sie glauben, dass Sie krank sind, werfen Sie a auch nicht gleich Antibiotika dagegen ein, sondern Sie lassen sich erst mal untersuchen, oder?“ Viel mehr zu schaffen machen dem Schädlingsbekämpfer jene Leute, die „bei einer Schneeflocke am Himmel im Supermarkt kiloweise Vogelfutter kaufen und das im Garten verstreuen“. Schöner könne man die Tafel für Ratten und andere Nager nicht decken.
Fazit: Wie genau es um die Populationen der Ratten in Norderstedt bestellt ist, kann keiner so ganz genau sagen. Exakte Zählungen existieren nicht. Ob der Rattenbekämpfer Bolz mit seiner Prognose Recht behalten wird, das werden die Norderstedter in den kommenden Monaten live in ihren Vorgärten beobachten können.