Vor 70 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Wir erzählen die Geschichte der Gedenkorte im Kreis fürdie Opfer. Heute erinnern wir an den BramstedterOskar Alexander
Wie genau Bild und Tafel in das Klinikum Bad Bramstedt gekommen sind, weiß heute niemand mehr. Aber sie hängen noch und zwar an einem Platz, der passender kaum sein könnte. Die Tafel, die an den einstigen Leiter der Klinik erinnert, hängt am Eingang des Hauses B, dem früheren Eingang zum Kurhaus, durch den Alexander selbst unzählige Male gegangen sein dürfte. Für den Bau des großen Hauses war er verantwortlich und als weitere Erinnerung an ihn hängt sein Bildnis nur wenige Meter weiter an der Wand. Bild und Tafel erinnern an einen Mann, der 1942 unter ungeklärten Umständen im Konzentrationslager Sachsenhausen umgekommen ist.
Schon fünf Jahre später war Oskar Alexander dann vermutlich das erste NS-Opfer aus dem Kreis Segeberg, dem offiziell mit einer Straßenumbenennung gedacht wurde. Die Bramstedter Stadtvertreter fassten am 11. November 1947 folgenden Beschluss: „In Würdigung der Opfer des Faschismus und in Anerkennung der Verdienste eines dieser Opfer um die Stadt Bad Bramstedt haben die Gemeinderäte einstimmig beschlossen, die Straße von der Segeberger Straße ab bis zur Hohenstegener Brücke, soweit sie bebaut ist, als Oskar-Alexander-Straße zu benennen.“ Seitdem liegen das Kurhaus und somit auch das heutige Klinikum an dieser Straße.
Die Geschichte Oskar Alexander ist bezeichnend für so viele Schicksale, die in der Nazizeit einen ähnlichen Verlauf genommen haben. Wer heute über den 1881 im niedersächsischen Visselhövede geborenen Mann schreibt, der wird ihn einen Juden nennen. Eine Bezeichnung, die er selbst für sich kaum gewählt hätte. Zwar stammte Oskar Alexander aus einer jüdischen Familie, aber er praktizierte die Religion nicht. Am 16. Juni 1932 kappte er die letzten formellen Beziehungen zum Judentum, er trat aus der Deutsch-Israelitischen Gemeinde aus. Aber er wurde sein Judentum nicht los. Das sollte sich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zeigen.
Oskar Alexander kann mit den Worten seines späteren Biografen Gerhard Hoch als einer derjenigen Juden beschrieben werden, „die die jahrhundertelange Ausgrenzung glaubten überkompensieren zu müssen durch besonders betonte nationale Gesinnung und Aktivität“. Prägend für ihn wie seine gesamte Generation war der Erste Weltkrieg. Im Herbst 1915 wurde er eingezogen und an der Westfront eingesetzt, noch nach 1933 wurde er deswegen mit dem Frontkämpfer-Abzeichen ausgezeichnet, das auf Antrag verliehen wurde. Alexander verarbeitete seine Erlebnisse insbesondere in einer Broschüre mit dem Titel „Der Sturm auf Höhe 185 bei Ripont am 15. Februar 1917“, dessen Erlöse hinterbliebene Bedürftige des Regiments erhielten. Laut Gerhard Hoch soll die enorme Summe von 20.000 Goldmark zusammengekommen sein, in seinen Augen gehört die in Versen verfasste Schrift „zu dem Schlimmsten, was es an deutschsprachiger Kriegsverharmlosung und -verherrlichung gibt“.
Nachdem der erfolgreiche Geschäftsmann Oskar Alexander den Krieg überstanden hatte, verkaufte er seine 1905 gegründete Kunstblumenfirma für 100.000 Reichsmark und widmete sich fortan den Kur-Anlagen in Bad Bramstedt, die er Ende 1918 pachtete. Der Kurbetrieb war im Krieg zu Erliegen gekommen, unter der Leitung von Alexander begann er aber zu florieren, die Patientenzahlen stiegen stetig. Gemeinsam mit den Landes- und Ortskrankenkassen in Schleswig-Holstein und Hamburg sowie der Stadt Bad Bramstedt plante Alexander nun ein neues Kurhaus, das 1930 – also mitten in der Wirtschaftskrise – in Betrieb ging. Zunächst wurde das Haus als Gesellschaft der Krankenkassen geführt, sodass keine Privatpatienten aufgenommen werden konnten. Als Alexander kurz darauf den ganzen Betrieb pachtete, war dies möglich, und der Erfolg kehrte in die Stadt zurück.
Oskar Alexander blieb auch nach 1933 Pächter der Anlage, auch wenn er nach eigener Angabe die Pacht bereits kurz nach der Machtübernahme der Nazis zur Verfügung gestellt hatte. Vermutlich hat es schon damals Angriffe gegen ihn als „Juden“ gegeben, auch in Bad Bramstedt waren schließlich die Nazis mittlerweile omnipräsent. Die Regierung Hitler erhielt bei der Reichstagswahl im März 1933 mehr als drei Viertel der Stimmen. Nach Aussage von Gerhard Hoch gibt es keine Hinweise darauf, dass Alexander sich vor oder nach 1933 vom Nationalsozialismus distanziert habe. Offenkundig dachte Alexander wie viele seiner Kameraden aus dem Ersten Weltkrieg deutschnational. Und wie viele seiner jüdischen Kameraden muss auch er die zunehmenden Demütigungen als ganz besondere Schmach empfunden haben, auch wenn er, der ehemalige Frontsoldat, im Betrieb bleiben durfte.
Sein Amt als Betriebsführer der Rheumaheilstätte verlor er im August 1935, auch weitere seiner Kompetenzen wurden ihm genommen. Zuvor war bereits entschieden worden, dass die Ärzte nicht mehr seinen Wagen mitbenutzen durften, „um jede auch nur mittelbare Abhängigkeit von Alexander zu vermeiden“. Es gab viele Bedenken gegen Oskar Alexanders weitere Arbeit in Bad Bramstedt. So sah er sich im Februar 1936 selbst genötigt, einen Brief an Rudolf Heß zu schreiben, den Stellvertreter Adolf Hitlers. Darin bittet er die „oberste Instanz“ zu entscheiden, ob er weiter als Pächter tätig sein könne. Im selben Brief hatte er Heß gegenüber seine Gegnerschaft zur Sozialdemokratie, seine Verdienste an der Front und für die Rheumaheilstätte herausgestellt. Die Dienststelle des Ministers befand, dass die rein wirtschaftliche Leitung weiter in den Händen Oskar Alexanders bleiben dürfe. Deutsche Patienten müssten aber von deutschen Ärzten betreut werden, hieß es weiter.
Allerdings wurde der Vertrag mit ihm als Pächter bereits am 1. Juni des selben Jahres mit geringer Entschädigung aufgelöst. Oskar Alexander blieb dabei zunächst für die Werbung der Privatpatienten zuständig, aber auch diese Aufgabe wurde ihm Ende 1936 entzogen.
Auch seine Erfindungen, die Trockenmoorpaste für Haus-Badekuren und ein Schwingweg zur Behebung von Gehbeschwerden und zur Leistungssteigerung von Sportlern, konnten sein Schicksal nicht aufhalten. Oskar Alexanders Aktionsradius wurde immer mehr beschnitten, auch er musste selbstverständlich den Judenstern tragen. Dessen ungeachtet beschäftigte er sich nach eigenen Angaben mit einer Erfindung zur „Verbesserung der Defensivfähigkeiten der kämpfenden Truppe“. Er konnte sie aber nicht mehr an den Mann bringen und es bleibt laut Gerhard Hoch unklar, um was es sich gehandelt haben könnte.
Nach Angaben von Zeitzeugen soll Alexander im September 1941 in der AKN verhaftet worden sein. Als Jude durfte er Bad Bramstedt zu dieser Zeit schon nicht mehr verlassen, vermutlich war dies der Grund für die Festnahme. Bereits am 25. Januar 1942 starb er im Alter von 60 Jahren im KZ Sachsenhausen. Was zwischen Verhaftung und Tod geschah, lässt sich heute nicht mehr ermitteln.
Neben der sehr frühen Straßenumbenennung, mit der die Stadtvertreter an das Schicksal Alexanders erinnerten, erinnerte die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr mit der Gedenktafel aus Holz an Alexander. Sie wurde vom damaligen Küster der Kirchengemeinde, Hermann Hartmann, einem gelernten Holzbildhauer angefertigt. Das Gemälde wurde 1948 von Hannie Pego gemalt. Danach verschwand Oskar Alexander aus dem Bewusstsein, erst Gerhard Hochs Buch, erstmalig 1994 erschienen, holte ihn für eine breitere Öffentlichkeit aus dem Vergessen zurück.
Die Geschichte Oskar Alexanders hat Gerhard Hoch in einem Buch aufgeschrieben, das nur noch antiquarisch erhältlich ist. Jan-Uwe Schadendorf hat das Buch inklusive der meisten Abbildungen auf seiner Website unter http://www.alt-bramstedt.de/Assets/oskaralx.htm zur Verfügung gestellt.