Norderstedt. Richtfest für neue Obdachlosenunterkunft am Langenharmer Weg. Stadt beseitigt Schandfleck, der seit Jahrzehnten besteht.

Norderstedts Sozialdezernentin Anette Reinders kann sich noch gut an ihre Zeit als Sozialarbeiterin in Norderstedt in den 80er-Jahren erinnern. „Schon damals waren die Unterkünfte für die Obdachlosen am Langenharmer Weg nicht mehr zeitgemäß.“ Die in den 50er-Jahren erbauten, flachen Rotklinker-Bungalows waren als Provisorien konzipiert worden, sollten Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen obdachlos geworden waren eine Heimat auf Zeit bieten – ohne großen Komfort, mit Gemeinschaftsdusche und -küche.

„Doch nichts hält so lange wie ein Provisorium“, sagte Reinders am Montag als Bauherrin beim Richtfest für die neue Obdachlosenunterkunft, die die Stadt Norderstedt nun für eine Million Euro gebaut hat. Im Herbst sollen 35 Obdachlose einziehen können. „Wir leben in Schleswig-Holstein in einem reichen land. Und da steht es uns gut zu Gesicht, etwas für die Ärmsten der Armen zu tun“, sagt Reinders.

Anschauungsunterricht in Kaltenkirchen und Henstedt-Ulzburg

Nach Jahrzehnten der Unterbringung von Obdachlosen im Provisorium ist der Neubau für die Stadt auch die Tilgung eines baulichen Schandflecks in der Sozialarbeit. Reinders selbst konstatierte, dass die meisten Gemeinden im Umfeld von Norderstedt längst moderne und zeitgemäße Unterkünfte für Obdachlose geschaffen hätten. Die Norderstedter Politik hatte sich bei der Planung am Langenharmer Weg Anschauungsunterricht in Kaltenkirchen und Henstedt-Ulzburg genommen.

Zwei der alten Wohngebäude aus den 50er-Jahren stehen noch am Langenharmer Weg. Langfristig sollen auch sie abgerissen werden
Zwei der alten Wohngebäude aus den 50er-Jahren stehen noch am Langenharmer Weg. Langfristig sollen auch sie abgerissen werden © Andreas Burgmayer

Das Konzept des neuen Norderstedter Hauses sehe vor, was Sozialexperten bei der Betreuung von Obdachlosen verlangen: mehr Privatsphäre. Die 35 Wohnungen in dem Neubau bieten jedem Bewohner 15 Quadratmeter Wohnfläche, dazu ein eigenes Duschbad und eine kleine Pantry, um Mahlzeiten zu kochen. keine Gemeinschaftsduschen- und -waschräume mehr. und auch die Zeiten, als mehrere Bewohner sich zum Kochen einen Herd teilen mussten, sollen im Herbst endgültig vorbei sein am Langenharmer Weg. „Menschen, die aus der Spur geraten sind und ihre Wohnung verloren haben, brauchen einen Rückzugsort, um sich zu sammeln. Sonst haben die keine Chance, eventuell wieder in eine eigene Wohnung zu kommen oder eine Arbeit aufzunehmen“, sagt Thomas Jäger, Stadtvertreter der SPD und Vorsitzender des Sozialausschusses der Stadt. Es seien besonders die Auftritte der Sozialarbeiterin Kristin Willers im Ausschuss gewesen, die der Politik die Augen für das Thema geöffnet hätten. Willers und ihre Kollegin Karen Schueler-Albrecht vom Diakonischen Werk Hamburg-West/Südholstein betreuen im Auftrag der Stadt die Einrichtung am Langenharmer Weg.

„Wohnen und Arbeit“ soll Wohnungslosen bei Lebensplanung helfen

Laut Reinders leben derzeit an die 80 wohnungslose Menschen in der Stadt. „Für sie ist diese Unterkunft ein Rettungsanker. Die angespannte Wohnungsmarktlage ist für diese Personen eine enorme Herausforderung. Durch die Verstärkung der sozialen Wohnraumförderung hoffen wir, dass sich auch ihre Situation verbessert.“

Dass Obdachlose mit der Adresse Langenharmer Weg 132 in Norderstedter so gut wie keine Chancen auf dem Wohnungsmarkt haben, ist nicht erst seit gestern so. Doch geändert hat sich an dieser Lage nicht viel in den vergangenen Jahren. Es hat sich gezeigt, dass es auch an der nötigen Unterstützung der Wohnungslosen bei der Lebensplanung fehlte. das soll sich nun ändern. „Wohnen und Arbeit“ heißt das Projekt der Stadt Norderstedt, des Kreises und des Jobcenters Segeberg sowie der Diakonie Hamburg-West/Südholstein. Von Sozialpädagogen betreut soll am 1. Juni der Versuch gestartet werden, sechs obdachlose Menschen in ein eigenständiges Leben zu führen, sie in Wohnungen und auf dem Arbeitsmarkt unterzubringen. Die Männer und Frauen werden in ihrem Alltag beraten und unterstützt, sie sollen eine Tagesstruktur finden und wieder am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Auf zwölf Monate ist das Projekt angelegt. Die Hoffnung ist, dass die Probanden nie mehr an den Langenharmer Weg zurückkehren müssen. Auch ohne sie werden die 35 neuen Ein-Zimmer-Wohnungen im Herbst gut belegt sein. Noch stehen neben dem Neubau zwei der alten Klinker-Unterkünfte. Auch sie werden wohl in Zukunft abgerissen werden, sagt Anette Reinders. „Noch müssen wir aber schauen, wo wir die Leute unterbringen können.“ Neu gebaut werden auf dem Gelände außerdem ein Waschraum mit Waschmaschinen und Trocknern. In einem Technikraum bauen die Stadtwerke Norderstedt ein kleines Blockheizkraftwerk für die Heizung der Wohnungen ein.

Anette Reinders lobte, wie still und leise die Stadt das Projekt in den vergangenen drei Jahren auf den Weg gebracht habe. Und sie machte auch keinen Hehl aus ihren Zweifeln, dass die Chancen für die Verwirklichung des zweigeschossigen Neubaus nicht so gut gewesen wären, wenn die große Flüchtlingswelle nicht erst jetzt so viele Neubürger aus aller Welt nach Norderstedt gespült hätte.