Kaltenkirchen. Kirchengemeinde Kaltenkirchen erinnert in der Michaeliskirche mit einer Tafel an Nazi-Pastor Ernst Szymanowski und stellt vor allem Fragen

Es ist eine Wunde, die nicht verheilt. Die nicht verheilen kann. „Wie konnte es dazu kommen, dass Gottes Gebot ,Du sollst nicht töten‘ tausendfach durch einen ehemaligen Kaltenkirchener Pastor missachtet wurde?“ Das fragt sich der Kaltenkirchener Kirchengemeinderat. Seit Mittwoch steht diese Frage neben anderen auf der neuen Mahntafel im Seitenschiff der Michaeliskirche. Sie wurde anlässlich einer musikalischen Andacht enthüllt und erinnert – ohne Namensnennung – an Pastor Ernst Szymanowski. Er, der sich später Biberstein nannte, amtierte von 1927 bis 1933 in Kaltenkirchen. Bereits 1926 in die NSDAP eingetreten, vertrat er auch auf der Kanzel die NS-Ideologie.

Später war er als SS-Offizier für die Ermordnung von mehreren Tausend überwiegend jüdischen Opfern in der Ukraine verantwortlich. Als Kriegsverbrecher verurteilt wurde er 1951 begnadigt und kam 1958 mit Hilfe der Kirchenleitung frei.

Die Kirchengemeinde tat sich lange schwer mit dem Erinnern und verschwieg jahrzehntelang ihren ehemaligen Pastor. Erst 2009 unterstützte die Gemeinde den Alvesloher Historiker Gerhard Hoch bei der Herausgabe einer Biografie zum NS-Pastor, dessen Fall in Deutschland einmalig ist. Gerhard Hoch hatte damals schon darauf gedrängt, ein sichtbares Zeichen des Erinnerns zu schaffen. Er wünsche sich, dass die verstummten Stimmen der Opfer vernehmbar gemacht werden, schrieb er zu Beginn seiner Arbeit, die während der Andacht verlesen wurde. Vielleicht, so Hoch 2009, in Form einer Tafel, „vor der sich jeder Gottesdienstbesucher still verneigen könnte“. Nach langen Diskussionen hat die Leitung der Kirchengemeinde nun eine Form dafür gefunden.

„Wie können wir uns sinnvoll erinnern, sodass deutlich wird, wir wollen das Geschehene nicht verdrängen, aber wir wollen auch keinen Sonderplatz für Szymanowski-Biberstein schaffen?“ Diese Frage ist laut Pastorin Martina Dittkrist für den Kirchengemeinderat entscheidend gewesen. „Wir wollten eine Mahnung, ohne dass dies als Ehrung missgedeutet werden kann.“ Im Gottesdienstraum sei die Tafel allen zugänglich, und im bereitliegende Buch könnte jeder Einzelne sich persönlich zu Wort melden. Der Name werde nicht erwähnt, erklärte Pastorin Dittkrist bei der Andacht, weil es sonst der einzige Name wäre, der in Kaltenkirchen sichtbar unter dem Kreuz stünde. „Wir verschweigen ihn nicht, deswegen liegt die Biografie von Historiker Gerhard Hoch an der Tafel.“

Kritik kommt hingegen von Hoch selbst. Schon gleich der Anfang der Tafel sei problematisch, wenn dort steht, dass das Leben der Opfer „ausgelöscht“ worden sei. Außerdem sei die Rede von „Gefangenen“, dabei habe es sich doch um Zivilisten, um Greise, Kranke, Frauen und Kinder gehandelt, die von der SS unter Szymanowski-Bibersteins Leitung ermordet worden seien. Hoch hatte der Kirchengemeinde seine Mitwirkung an der Gestaltung der Mahntafel angeboten, war aber dann erst kurz vor Ende des Prozesses gebeten worden, den Text zu begutachten. Zwar gab es seitdem noch einige Änderungen, zufrieden ist der 92 Jahre alte Historiker aber nicht. „Ohne Antlitz und ohne Namen bleibt in der Kirche ein Phantom zurück“, sagt er. „Es wird sich immer mal wieder melden.“ Szymanowski-Biberstein habe ins Bild der Kaltenkirchener Kirche seiner Zeit gepasst. Er sei geduldet und von vielen unterstützt worden, seine Predigten hätten damals ein positives Echo hervorgerufen.

Eine etwas andere Perspektive auf die Mahntafel und den fehlenden Namen nimmt Kirchenhistoriker Stephan Linck ein. Auch er hat sich intensiv mit der Person Szymanowski-Biberstein beschäftigt und in seinem jüngsten Buch „Neue Anfänge?“ den Umgang der evangelischen Kirche in Schleswig-Holstein nach 1945 mit dem belasteten Erbe beschrieben. Er kann die Kritik von Hoch verstehen, sagt aber auch, dass es sich die Kirchengemeinde mit der Auslassung des Namens nicht leichter, sondern schwerer mache. „Sie zeigt nicht mit dem Finger auf eine Person, sondern verdichtet es in der Funktion.“ Die Tafel werde dazu führen, dass das Erinnern weitergeht.

Erinnern ist auch das richtige Stichwort für Propst Kurt Riecke aus Bad Bramstedt. „Es ist schwer auszuhalten, aber es ist sehr wichtig“, sagt er und lobt die Kirchengemeinde für die Mahntafel. Die Kirche müsse lernen, hoch wachsam zu sein, wenn Tendenzen auftreten, wenn Angst gemacht wird. „Wir müssen dafür sorgen, dass wir diesen Fehler nicht wieder begehen. Dieses Grauen vergessen wir nicht“, sagt Riecke. Schließlich sei in der NS-Zeit auch die Kirche schuldig geworden, dies zeige nicht nur der Fall Szymanowski-Biberstein.