Wenn die Seele leidet, schlagen die Organe Alarm. Wer gehänselt wird, kann die ständigen Attacken auch körperlich zu spüren bekommen.
Wenn Kinder und Jugendliche in der psychiatrischen Tagesklinik therapiert werden, liegen die Ursachen nicht selten im Elternhaus. Die Familienstrukturen werden brüchiger, Väter und Mütter kümmern sich zu wenig, weil Zeit, Lust oder Kraft fehlen. Die Kinder müssen auf ein verlässliches Umfeld verzichten, in dem sie sich sicher und aufgehoben fühlen.
„Und es gibt die Helikopter-Eltern, die ihre Kinder am liebsten 24 Stunden am Tag umschwirren würden, die immer wissen, was das Beste für Sohn und Tochter ist, auch wenn ihre Meinung dem pädagogischen Konzept des Lehrers widerspricht und dadurch Konflikte bei den Kindern hervorruft“, sagt Peter Pflantz. Der Psychologe leitet die neue Tagesklinik in Norderstedt zusammen mit Dr. Silke Streitferdt, Fachärztin für Kinder und Jugendpsychiatrie. Zwölf Kinder und Jugendliche werden gleichzeitig behandelt, bis zu einem halben Jahr beträgt die Wartezeit. „Die psychischen Probleme von Kindern und Jugendlichen nehmen zu“, sagt der erfahrene Psychologe.
Depressionen, Ausgrenzung, traumatische Erlebnisse, Ängste, Selbstverletzung – Pflantz spricht allgemeiner von emotionalen und Störungen im Sozialverhalten. „Schulkonflikte zeigen sich vermehrt“, sagt er. Jugendliche mit einer labilen Grundstruktur könnten am Leistungsdruck an den G8-Gymnasien scheitern, sich entziehen, den Unterricht verweigern, im Extremfall bis zu zwei Jahre. An den Grundschulen konstatiert er „expansives Verhalten“. Schüler seien streitlustig, störten, liefen einfach aus dem Unterricht weg. Hinzu komme Mobbing, Hänseleien, wie der Psychologe ganz altmodisch sagt. „Du bist fett, du bist hässlich“ – verbale Angriffe mit körperlichen Folgen: Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Durchfall, die verletzte Psyche zwingt die Organe zum Widerstand.
Auch die Zahl traumatisierter Kinder steigt. Sie sind auf sich gestellt, werden vernachlässigt, verwahrlosen. Alleinerziehenden fehlt die Zeit, Eltern sind alkohol- oder drogenabhängig. „Das kann im Umkehrschluss dazu führen, dass die Kinder nicht mehr aus dem Haus gehen, weil sie sich um ihre Eltern kümmern wollen“, sagt Pflantz. Trennen sich die Eltern, wird einer arbeitslos, schwer krank oder stirbt, ist das für die Kinder ohne Hilfe kaum zu verarbeiten. Pflantz berichtet von einem Extremfall: „Als das Kind nach Hause kam, hatte sich der Vater erhängt.“
Auch das „Ritzen“ gehört zu den Krankheitsbildern, mit denen sich die Therapeuten beschäftigen. Mehr Mädchen als Jungen verletzen sich selbst, um ihr Gefühlsleben zu regulieren. „Wer Wut gegen sich empfindet, für den ist die Selbstverletzung wie eine Erlösung“, sagt der Psychologe. Psychische Störungen äußerten sich unterschiedlich: Mädchen ziehen sich eher zurück, sind traurig, fühlen sich innerlich verloren, haben Angst, rauszugehen, bis hin zu Selbstmordgedanken. Die Jungen zeigten eher Aggressionen und Wutausbrüche und prügelten sich.
Wie steuern Pflantz und seine Kollegen gegen? „Wir führen Einzelgespräche, prüfen, ob medizinische Hilfe nötig ist, beziehen aber natürlich auch die Eltern ein“, sagt der Psychologe. So würden alle Eltern der behandelten Kinder gemeinsam zu einem Treffen an einem Sonnabendvormittag eingeladen. Die Väter und Mütter kämen raus aus der Isolation und merkten, dass sie mit ihrem Problem nicht allein da stehen. Sie tauschten Erfahrungen, aber auch Tipps aus. Auch Tanz, Musik, Ergotherapie oder Kunst helfen, die Seele wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Symbol für den Weg ist das Großbild, das die jungen Patienten Stück für Stück vervollständigen: Raus aus der Wüste, der Ödnis, den Gefahren, rein ins Meer und schwimmen, bis das andere Ufer, das bessere, erreicht ist.