Die OP-Schwester in der Paracelsus-Klinik musste sich eine Brust abnehmen lassen. Den Lebensmut hat sie nicht verloren. Heute redet sie offen über ihre Krankheit, um anderen Frauen Mut zu machen.
Henstedt-Ulzburg. Brustkrebs – das Leben der Betroffenen verändert sich. „Die Krankheit ist ein Schicksal, aber auch eine Chance“, sagt Dr. Tobias Zeiser, Chefarzt der Gynäkologie und Geburtshilfe in der Henstedt-Ulzburger Paracelsus-Klinik. Was er damit meint: Frauen, die erfolgreich behandelt wurden, verändern ihr Leben in der Regel zum Positiven. Susanne Meyer erlebt es gerade: Diagnose Brustkrebs. Sie musste sich eine Brust abnehmen lassen und beginnt jetzt wieder mit den Schritten ins Leben. „Ich freue mich heute über vieles, was früher alltäglich war“, sagt die 51-jährige Henstedt-Ulzburgerin, die ihren Alltag jetzt bewusster gestaltet.
In den westlichen Staaten ist Brustkrebs die häufigste Krebsart bei Frauen. In Deutschland erkranken jährlich etwa 75.000 Frauen. Susanne Meyer gehört zu ihnen. Wie alle anderen Patientinnen hat sie gelitten, mit ihrem Schicksal gehadert, geweint – aber bei allem Leid konnte sie ihre Lage kritisch reflektieren. Denn Krankheit, Leid, aber auch Genesung gehören praktisch zu ihren Leben: Sie ist seit vielen Jahren OP-Schwester in der Henstedt-Ulzburger Paracelus-Klinik. Was sie bei vielen anderen Frauen erlebt hat, musste sie jetzt selbst durchmachen. Dieser gemischte professionelle und private Blick auf die eigene Krankheit hat sie in die Lage versetzt, detailliert über das Erlebte und Überlebte zu berichten. Damit hat sie sich einerseits von einer Last befreit, andererseits will sie betroffenen Frauen auch Mut machen.
„Da ist etwas. Wir sollten ihren Arzt anrufen.“ Als Susanne Meyer diesen Satz von ihrem Röntgenarzt hört, gehen bei ihr „alle Signalleuchten an“. Es war eigentlich eine ganz normale Kontrolle. Einmal im Jahr ging die 51-Jährige zur Mammographie. So auch im Mai 2013. Zu ertasten war nichts, doch bei der Mammographie wird etwas in der linken Brust entdeckt. Der folgende Ultraschall bestätigt den Befund. Zwischen 2,5 und 3 Zentimeter, heißt es. Ein kleiner Knoten, der von einem Tag auf den anderen ihr Leben verändert. Damit beginnt für die alleinerziehende Mutter der Kampf gegen den Krebs, der ein Jahr lang dauern wird.
Susanne Meyer gehört seit 2008 zur OP-Leitung in der Paracelsus-Klinik. Auch aus diesem Grund begibt sie sich nach der Erstdiagnose in die Hände von Chefarzt Dr. Tobias Zeiser, der auch Leiter des „Mammazentrums Alsterquelle“ in der Paracelsus-Klinik ist. Drei Gewebeproben des Knotens entnimmt der Gynäkologe, um sie zum Schnellschnitt in die Pathologie des Heidberg-Krankenhauses zu schicken. Susanne Meyers 17-jährige Tochter muss außerdem beruhigt werden. Die Angst ist allgegenwärtig.
Das Ergebnis bekommt die Krankenschwester am nächsten Tag während ihrer Schicht: Der Tumor ist, wie vermutet, bösartig. „Ich habe erst mal wahnsinnig angefangen zu weinen.“ Dann geht alles sofort los, Zeit darf nicht vergeudet werden. Eben noch hatte sie für das Wohl der Patienten gesorgt, jetzt ist sie plötzlich selbst Patient in „ihrer“ Klinik.
Nur wenige Tage später die erste Operation. Der Tumor wird entfernt. Da der sogenannte Wächter-Lymphknoten befallen ist, werden zusätzlich 16 Lymphknoten entfernt, weil die Gefahr besteht, dass der Tumor über die Lymphbahnen gestreut hat. Der Tumor wird eingeschickt, um festzustellen, ob noch genügend gesundes Gewebe vorhanden ist. Von diesem Ergebnis hängt es ab, ob Susanne Meyer ihre ganze Brust verlieren würde – es ist niederschmetternd: Der Tumor ist größer als angenommen – die Brust wird eine Woche später entfernt.
In der Klinik, die eigentlich ja ihr Arbeitsplatz ist, fühlt sie sich sehr gut aufgehoben. Die Gespräche mit der onkologischen Psychologin haben ihr in dieser Situation ebenfalls geholfen. Insgesamt wird Susanne Meyer anderthalb Jahre psychisch betreut. Zunächst einmal pro Woche, zuletzt einmal im Monat. Einen Brustaufbau hat Susanne Meyer bis heute nicht vornehmen lassen. „Ich habe mich dagegen entschieden, weil ich einfach keine Schmerzen mehr haben wollte. Ich kann gut damit leben.“
Fünf Wochen nach der letzten OP beginnt die Chemotherapie in sechs Zyklen. Alle drei Wochen läuft drei Stunden lang das Zytostatika über einen Portkatheter in ihre Venen. Nicht nur das Kopfhaar, auch die Augenbrauen und die Wimpern fallen aus. Für Frauen eine starke zusätzliche Belastung. Aber Susanne Meyer lässt sich auch davon nicht unterkriegen und geht die Sache pragmatisch an. Schon vor der ersten Chemo geht sie zum Friseur und kauft sich eine hübsche Perücke, die ihrer Frisur ähnelt. Denn für die tapfere Krebspatientin steht fest: „Ich werde nicht herumlaufen wie eine lebende Leiche!“
Trotz vorheriger Einnahme von Kortison und anderen Mitteln gegen Übelkeit geht es ihr schon während der ersten Chemotherapie schlecht. „Ich war sehr schlapp, das war so ein allgemeines Unwohlsein“, beschreibt sie. Und es wird nicht besser. Während der 18-wöchigen Therapie werden immer wieder Teile ihres Körpers taub. Die Konzentration lässt nach, ebenso die Feinmotorik. An guten Schlaf ist nicht zu denken. Irgendwann verflüchtigt sich auch der Geschmackssinn. Während der Zyklen muss sie Eishandschuhe tragen, um die Nervenenden an den Fingern zu schützen. Gegen Pilzbefall im Mund muss sie die auch lutschen – heute kann sie keine Eiswürfel mehr sehen. Als der Haarausfall beginnt, lässt sie sich vom Friseur kahl rasieren. Um das eigene Selbstwertgefühl zu erhalten, verlässt sie ihre Wohnung nie ohne Perücke und ungeschminkt.
Diese sehr starke Chemotherapie schwächt Susanne Meyers Körper sehr. „Ich hätte mich jederzeit gegen die Chemo entscheiden können, aber ich wollte das Risiko nicht eingehen, dass sich der Krebs doch noch irgendwo anders ausbreitet“, sagt sie heute. Auf die Chemotherapie folgen noch 30 Bestrahlungen – glücklicherweise ohne Nebenwirkungen. Am 12. Dezember 2013 hat sie alle Therapien überstanden. Eine mehrwöchige Kur folgt. Eine Homöopathin hilft ihr, das Gift aus dem Körper zu leiten, ebenso wie die Bowen-Therapie, eine abgeschwächte Form der Osteopathie. „Wichtig für meine Genesung war auch die innere Einstellung. Trotz aller Schmerzen und Unannehmlichkeiten habe ich immer positiv gedacht und an meine Heilung geglaubt. Meine Freunde sagen, dass ich während der Zeit immer ein Lächeln auf den Lippen hatte.“
Im März 2014, knapp ein Jahr nach der Schreckens-Diagnose, beginnt sie langsam wieder zu arbeiten. Die Einstellung zum Leben und zum Tod hat sich seit der Krebserkrankung für Susanne Meyer komplett verändert. „Ich habe in dieser Zeit mein Testament gemacht.“ Den Satz: „Genieße jeden Tag, denn es könnte dein letzter sein“, hat sie verinnerlicht und zu ihrem Lebensmotto gemacht. „Ich genieße mein Leben jetzt wirklich mehr. Ich bin ruhiger geworden und ärgere mich nicht mehr über alles“, sagt sie. „Ich bin mir sicher, dass meine Krebserkrankung vom Stress ausgelöst wurde. Ich sehe das als Warnschuss. Man muss gut mit sich umgehen und auf sich aufpassen.“
Im ersten Jahr muss Susanne Meyer alle drei Monate zur Nachkontrolle, jetzt einmal im Jahr zu Mammographie. Die klassische Nachsorge läuft über fünf Jahre, danach wird viele weitere Jahre regelmäßig kontrolliert. „Durch eine Chemotherapie wird die Heilungschance um 15 bis 20 Prozent verbessert“, sagt Tobias Zeiser. „Es haben unter dem Strich mehr Frauen mit Chemotherapie überlebt als ohne.“
Eine Mammographie erhöht die Wahrscheinlichkeit, einen Tumor in der Brust zu entdecken. 60 bis 70 Prozent aller Tumore, so Tobias Zeiser, werden auf diese Weise entdeckt. Aber das angebotene Screening wird nur zögerlich angenommen. Etwa 60 Prozent aller Frauen nehmen das Angebot an – in städtischen Bereichen mehr, in ländlichen Bereichen weniger. „Das liegt daran, dass in den Städten mehr über dieses Thema gesprochen wird“, sagt der Paracelsus-Chefarzt, der Respekt vor der Entscheidung der Schauspielerin Angelina Jolies hat, sich die Brüste prophylaktisch entfernen zu lassen. Ihr Fall habe das Thema in den Fokus gerückt. „Für Frauen mit einem Gendefekt ist diese Entscheidung konsequent.“
Susanne Meyer ist noch nicht ganz so stark wie früher. Das muss sie sich selbst eingestehen. Sie redet offen über ihre Krankheit, über das Erlebte, sie baut jedoch auch vor: „Es kann sein, dass ich während des Gesprächs weinen muss.“ Sie arbeitet heute wieder als OP-Schwester, aber auf die anstrengenden Nachtdienste verzichtet sie. Vorerst jedenfalls. Auch wenn die finanziellen Einbußen erheblich sind. Es geht voran: Schritt für Schritt in ein neues Leben.