Je mehr Windenergie erzeugt wird im Norden, desto leistungsfähiger müssen die Leitungen sein, die Strom in den Süden transportieren. Bestehende 220-Kilovolt-Trassen reichen dafür nicht aus.
Schmalfeld. „Wer Ja sagt zu erneuerbaren Energien, der muss auch Ja zum Netzausbau sagen.“ Dieses Credo von Bundeskanzlerin Angela Merkel, formuliert vor über zwei Jahren, gilt weiterhin. Wie schwierig das von der breiten Mehrheit der Bevölkerung gewünschte Ziel in die Tat umzusetzen ist, zeigt sich seitdem bei jedem der Bauvorhaben für eine der 380-Kilovolt-Stromtrassen. Irgendwann werden sich Deutschlands Landschaften verändern, irgendwann werden auch im Kreis Segeberg neue, 50 bis 60 Meter hohe Masten stehen. Je mehr Windenergie erzeugt wird im Norden, desto leistungsfähiger müssen die Leitungen sein. Bestehende 220-Kilovolt-Trassen reichen dafür nicht aus.
Ostküstenleitung – diesen Begriff gibt es seit dem vergangenen Jahr, als die neueste Version des Netzentwicklungsplans, also des gesammelte Bedarfs aller mit der Energiewende verknüpften Infrastrukturvorhaben, veröffentlicht wurde. Weil in Ostholstein mittlerweile mehrere Hundert Anlagen Windenergie erzeugen, seien neue, angemessene Leitungen für den Abtransport nötig. Dem Raum Segeberg/Stormarn kommt dabei eine Schlüsselfunktion zu.
Alternativen gibt es nicht, die Energiewende ist zentral für die Zukunftsfähigkeit nicht nur Schleswig-Holsteins. Doch gerade in ländlichen Regionen sind die Menschen mittlerweile sehr misstrauisch geworden, inwiefern sich ihr Alltag verändern könnte, wenn die neuen Strom-Autobahnen sozusagen in Waldgebiete, auf Felder und direkt neben die Ortschaften gepflanzt werden. Im Falle der Ostküstenleitung geht es um 120 Kilometer Länge – pro 1000 Meter sind es geschätzte Kosten von 1,5 Millionen Euro. Netzbetreiber und gesetzlich verantwortlich für den Bau ist das Unternehmen TenneT. Das Vorhaben ist in einem Frühstadium, sodass eine Vielzahl an möglichen Korridoren weiterhin zur Debatte steht.
So wie in der Hirten-Deel in Schmalfeld. Die zehn Minuten von Kaltenkirchen entfernte Gemeinde wäre bei einen nördlichen Verlauf der neuen Trasse entlang der bisher lediglich theoretisch existenten Autobahn 20 quasi Drehkreuz. Denn dort, wo zwei Höchstspannungsleitungen aufeinandertreffen, muss sich auch ein Umspannwerk befinden, das wiederum eine Fläche von zehn Hektar beansprucht. „Schmalfeld ist ein spezieller Bereich, in dem es darum geht, Leitungen anzubinden, die in die Verbrauchszentren im Süden führen“, sagt Johannes Grützner, Vertreter des Ministeriums für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume. Aber man sei eben ganz am Anfang.
Denn weil Belastungen so weit wie möglich vermieden werden sollen, läuft weiterhin eine Evaluation – Wohngebiete, Naturschutzgebiete, Wälder, all dies fließt in die Bewertungen mit ein. Unter dem Strich werden alle theoretischen Varianten klassifiziert. Einen konkreten Vorzugskorridor gibt es zwar noch nicht, wohl aber kristallisiert sich schon jetzt eine Tendenz heraus. Denn unter Berücksichtigung aller Faktoren favorisiert TenneT vorsichtig einen Neubau auf der jetzigen 220-Kilovolt-Trasse – südlich von Wakendorf und Groß Niendorf, dann zwischen Seth, Oering und Sievershütten hindurch, ehe die Leitung vor Kisdorf gen Norden verlegt wird. Dort hat der Betreiber zwei Suchräume ausgewiesen, wo Umspannwerke gebaut werden könnten – westlich von Kaltenkirchen sowie nördlich von Nützen. Schmalfeld wäre dann kaum noch betroffen.
All das ist dennoch vage und könnte sich immer noch ändern. „Wenn die umweltverträglichste Variante zu teuer wird, könnte auch eine andere Variante gebaut werden. Sonst wäre das Ziel der Effizienz nicht erreichbar“, sagt Uwe Herrmann, Geschäftsführer der mit den Untersuchungen beauftragten Landschaftsarchitektur BHF. Er verdeutlicht aber auch: Eine Trasse, die nur wenige Orte tangiert, wird immer favorisiert.
Die auch in Schmalfeld mehrfach von Bürgern ins Spiel gebrachten Erdverkabelungen sind weiterhin kein Thema. Die Verlässlichkeit sei nicht gewährleistet, die Kosten sechs- bis zehnmal so hoch. Am Ende zerfasert der Bürgerdialog zunehmend, viele Anwesende sind genervt von rituell anmutenden Grundsatzdiskussionen insbesondere zwischen Uwe Herrmann und Politikern der Kaltenkirchener Wählergemeinschaft Pro-Kaki.
Einer, der alle Debatten still verfolgt, ist Schmalfelds Bürgermeister Klaus Gerdes. „Ich wollte alles erst einmal anhören“, sagt er anschließend. „Ich bin mit der Meinung reingegangen, dass der Korridor entlang der A 20 bevorzugt sei. Das scheint jetzt nicht mehr so zu sein. Für den Moment können wir Schmalfelder beruhigt sein.“
Die 380-Kilovolt-Leitung entlang der A 7 ist hingegen längst ausdiskutiert. In den nächsten Wochen rechnet TenneT mit dem Planfeststellungsbeschluss. Dann könnte noch in diesem Jahr der Bau beginnen, sofern keine Klage eingereicht wird. Ansonsten könnte sich das Projekt um ein weiteres Jahr verzögern.