Bei seiner ersten Teilnahme gewinnt der TuS Hartenholm sensationell das Lotto-Masters in Kiel. Über 9000 Zuschauer bejubeln den Dorfclub, der die haushohen Favoriten Holstein Kiel und VfB Lübeck ausschaltet.
Hartenholm/Kiel. Wer kannte schon diesen Christian Jaacks? Oder Arved Käselau, Martin Genz, Jannik Holz, Kjell Brumshagen – wie sie unter anderem eben heißen, diese Fußball-Nobodys vom TuS Hartenholm. Doch ab jetzt sind die Spieler des Dorfvereins keine unbeschriebenen Blätter mehr. Hallenkönige von Schleswig-Holstein, das ist ihr neuer Titel.
Sie raubten den mehr als 9000 Zuschauern in der Sparkassen-Arena in Kiel beim 17. Lotto-Masters mehrfach den Atem. Die eigenen Fans – offiziell 800, tatsächlich eher an die 1000 – fielen kollektiv ins Delirium beim ersten Tor in der Vorrunde, beim ersten Sieg, beim überraschenden Erreichen des Halbfinales. Die Mannschaft feierte all dies bereits wie einen WM-Titel. Doch diese Leistungen waren nur die Ouvertüre für die bemerkenswerteste Geschichte, die je ein Fußballteam aus dem Kreis Segeberg geschrieben hat.
So wie im Halbfinale beim Duell mit den doch eigentlich so übermächtigen Profis von Holstein Kiel. Zwei Ligen und mehrere Millionen Euro Unterschied verpufften trotzdem binnen weniger Augenblicke. „Wir lagen 0:1 zurück, ich habe dann 90 Sekunden vor Abpfiff gesagt – Jungs, jetzt riskiert alles“, so erinnerte sich Trainer Jörg Schwarzer an das Husarenstück. Seine Mannschaft jagte fortan Ball und Gegner voller Leidenschaft, brachte den Favoriten komplett aus dem Konzept – und drehte das Spiel.
Mit diesem 2:1 gewann der Underdog die Gunst der gesamten Halle. Stehend applaudierten selbst die verwöhnten Kieler Anhänger, alle anderen hatten sowieso zu Hartenholm gehalten. Was im Endspiel gegen den VfB Lübeck nicht anders war. Niemand im Holstein-Lager hat etwas für den Erzrivalen übrig. Stattdessen brannte die Arena – es schien, als wolle jeder Anwesende mit seiner Stimme den Klassenunterschied zwischen Regionalliga Nord und Schleswig-Holstein-Liga wettmachen. „Haaartenhooolm, Haaartenhooolm“ schallte es aus allen Winkeln.
Nein, es war kein Traum, die Protagonisten versicherten sich gegenseitig. „Christian Jaacks und ich standen oben, wir sollten bald eingewechselt werden“, so Martin Genz. „Ich habe ihn dann meinen Arm gezeigt: Siehst du das hier?“
Gänsehaut. Aber keine Nervosität, sondern pures Adrenalin. „Das pusht so ungemein, wir hätten auch mit einem Mann weniger gewonnen“, sagte Marc Oldenburg, der in seinem Leben nie das Trikot eines anderen Vereins getragen hat. „Ich habe in der Betonklasse angefangen und jetzt bin ich hier, das ist so unglaublich.“
Der Teilnehmer, den kein Experte als Sieger getippt hatte, spekulierte nicht auf irgendwelche Zufallsprodukte, sondern ergriff die Initiative. Und das zum bestmöglichen Zeitpunkt. Der Hallen-DJ hatte „I Just Can’t Get Enough“ von Depeche Mode aufgelegt, als sich Arved Käselau für die letzten Sekunden beim Stand von 1:1 quasi selbst einwechselte. Denn Trainer Schwarzer war gedanklich längst im Neunmeterschießen, wollte hierfür Kjell Brumshagen auf dem Feld sehen.
Von wegen, dachte Käselau, dribbelte voller Entschlossenheit an allen Lübeckern vorbei, schob den Querpass nach rechts, wo Christian Jaacks im Fallen und 15 Sekunden vor Spielende das 2:1 erzielte. Genau derjenige Akteur, der den Club überhaupt erst im November zum Masters geschossen hatte, machte den finalen Sensationstriumph perfekt. Mehr geht dramaturgisch nicht.
Auf dem Wanderpokal wird nun ein neuer, völlig unerwarteter Name eingraviert, dazu erhielt der TuS die stattliche Siegprämie von 5000 Euro. „Es wäre schön, wenn das an die Mannschaft gehen würde“, sagte Jörg Schwarzer. Und verriet: „Ich hatte Angst, dass wir hier aus der Halle geschossen werden. Da die Profis, hier wir als Amateure – aber wir haben keinen Respekt gezeigt. Das ist ein Märchen. Und dafür lieben wir den Fußball alle.“
Vielleicht bleibt es einmalig. Denn dass Schwarzer & Co. überhaupt in dieser Saison gut dastehen, entspricht nicht der Norm. Der Masters-Sieger ist zudem nicht automatisch qualifiziert für das nächste Jahr. Niemand weiß also, ob Hartenholm jemals wieder einen Tag wie diesen erleben wird.