Dies ist nur der zarte Beginn einer großartigen Entwicklung. Friedhofsruhe war gestern. Heutzutage stellt jeder sein Leben ins Netz – warum also nicht noch nach dem Tod.
Es ist noch gar nicht so lange her, da sahen wir die ersten ihrer Art auf Werbeplakaten: Rätselhafte Quadrate mit verschwurbelten schwarz-weißen Balken, die weder Buchstaben noch erkennbare Piktogramme enthielten und dennoch zunehmend allgegenwärtig wurden. „Quick-Response-Codes“, kurz QR-Codes genannt, stellen kodierte Daten binär dar. Auf Deutsch: Obwohl wir es auf Anhieb und mit menschlichen Bordmittel nicht erkennen, befinden sich hier ganze Romane und/oder Filme auf dem Format einer Briefmarke. Zum Glück ist unser Smartphone ja schlauer als wir und in der Lage, mittels einer geeigneten App den Code einzulesen und zu dechiffrieren. Und schon fliegt uns die geballte Information multimedial um die Ohren. Wenn wir denn wollen.
Jetzt schwappt dieser Trend dorthin, wo eigentlich jedes Streben nach irdischem Schnickschnack ein Ende finden sollte: Auf die Friedhöfe. Immer mehr Gemeinden erlauben in ihren Friedhofssatzungen die Anbringung von QR-Codes auf Grabsteinen. So ein Code ziert beispielsweise bereits das Grab der DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley. Einmal eingescannt, erfährt man Näheres über ihre Biographie und politische Arbeit und betrachtet eine Bildergalerie. Man darf sicher sein: Dies ist nur der zarte Beginn einer großartigen Entwicklung. Friedhofsruhe war gestern. Heutzutage stellt jeder sein Leben ins Netz – warum also nicht noch nach dem Tod. Über Fotos und Videos verfügt die Social-Media-Generation ja im Überfluss. Es gibt keine Situation, die so peinlich wäre, dass man nicht noch ein kleines Selfie davon hochladen könnte. Material für die QR-Code-animierte Postmortalshow wäre bald für jeden Grabstein vorhanden. Ein Spaziergang über den Ohlsdorfer Entertainmentpark (vormals: Friedhof) sieht dann so aus: Mit dem Handy in der Hand durch die Gräberreihen streifen und Leichen beim Leben zugucken. Fast wie RTL 2. Ich rechne fest mit einer TV-Show über „Die besten Postmortalvideos aller Zeiten“. Man könnte auch sein eigenes Digitaldenkmal mit Werbung bestücken, so eine Beerdigung ist schließlich teuer. Zum Beispiel: „Lieschen Müller wurde gesegnete 106 Jahre alt, weil sie täglich ein Glas XY inhalierte.“ Sie halten das für übertrieben? Das kommt. Diese Prophezeiung ist in Stein gemeißelt.