Auf dem Friedhof von Tangstedt ist ein Sternenkinderdorf entstanden. Damit soll die Trauer um Stillgeborene einen würdigeren Rahmen erhalten. Die Patenschaft haben die Pfadfinder von Sankt Jakobus Oberalster übernommen.
Tangstedt. Sternenkinder, die den Himmel erreicht haben, dort am Firmament leuchten. Was so schön klingt, ist für betroffene Eltern ein furchtbares, einschneidendes Erlebnis. Gemeint sind Kinder, die mit weniger als 500 Gramm Gewicht vor, während oder kurz nach der Geburt sterben. „Wenn Du bei Nacht den Himmel anschaust, wird es Dir sein, als lachten alle Sterne, weil ich auf einem von ihnen wohne, weil ich auf einem von ihnen lache“, hat Antoine de Saint-Exupéry in „Der kleine Prinz“ geschrieben. Jährlich passiert das in Deutschland mehrere tausend Mal, nicht selten sind Eltern sogar wiederholt betroffen.
„Die Eltern freuen sich unbändig. Und dann steht die Welt auf dem Kopf. Wer so etwas erlebt, lebt sein Leben in der Folge komplett anders“, sagt Christina Tegtmeyer. Die Pastorin ist Seelsorgerin in der Henstedt-Ulzburger Paracelsus-Klinik und leitet zudem einmal im Jahr immer im September eine gemeinsame Trauerfeier für Betroffenen und deren Angehörige in der Kirche von Tangstedt.
Auf dem dortigen Friedhof finden die Stillgeborenen anschließend ihre Ruhestätte. Seitdem vor sechs Jahren ein Kindergrabfeld geschaffen wurde, hat sich die Friedhofsverwaltung mit dem Klinikum Nord und der Paracelsus-Klinik darauf verständigt, dort bewusst auch Föten zu bestatten, die nicht lebend geboren wurden.
Der Umgang hiermit ist auch für erfahrene Trauerbegleiter nicht einfach. „Das war noch bis Ende des letzten Jahrtausends ein Tabuthema und so intim, dass es selbst im engen Freundeskreis nur selten angesprochen wurde“, so Tegtmeyer. Auch, weil viele Mütter und Väter nach dem Schicksalsschlag traumatisiert waren, dachten sie nicht daran, was mit dem Fötus geschehen würde.
In der Tat wurden die Totgeburten früher von den Kliniken in der Regel anonym entsorgt – etwas anderes als das Einhalten hygienischer Gebote war nicht vorgeschrieben. Als allerdings 2009 ein hessisches Elternpaar (Barbara und Mario Martin) eine Petition startete, die sich für die Anerkennung von Sternenkindern als Personen stark machte, fand die Forderung bundesweit großen Anklang in den Medien sowie bei unzähligen weiteren Betroffenen, sodass aus der Unterschriftensammlung letztlich sogar eine parteiübergreifend befürwortete Gesetzesänderung wurde.
Es ging darum, den Kindern einen Namen zu geben, sie aus der Anonymität zu lösen. Konkret ist wenigstens seit 2013 möglich, über das Standesamt Stillgeborene in das Stammbuch einer Familie einzutragen. Rein rechtlich muss ein Neugeborenes allerdings geatmet haben, um als Person anerkannt zu werden, das ist gleich geblieben. „Ein Kind ist immer Kind seiner Eltern, ganz gleich welchen Alters“, sagt jedoch Christina Tegtmeyer. „Und Eltern haben immer das Recht auf eine Bestattung.“
Die Form der Beisetzung variiert. In Tangstedt entschied sich die Friedhofsverwaltung im Sommer für eine grundlegende Umgestaltung der hierfür ausgewiesenen, zehn Quadratmeter großen Fläche. „Das ist eine Idee, die unabhängig voneinander in zwei Köpfen gewachsen ist“, sagt Maren Fuehr, Leiterin der Friedhofsverwaltung. „Mir selbst war immer zu viel Unkraut auf dem Feld. Die Gestaltung war nicht kindgerecht.“ Als sie sich mit Diakonin Katrin Lauerwald darüber austauschte, merkten beide, dass sie ähnliche Vorstellungen hatten. Ein Sternenkinderdorf sollte direkt am Gemeinschaftsgrabfeld entstehen, als Vorbild diente die „Himmlische Stadt der Kinder“ in Bargteheide.
Realisiert wurde das Konzept dank der fleißigen Pfadfinder des Stammes Sankt Jakobus Oberalster. Diese töpferten und bemalten in den Sommerferien Häuser aus Ton, halfen den Friedhofsgärtnern beim Pflanzen von Blumen. Zuletzt wurden nach den Herbstferien Kieselsteine ausgebracht, darauf entstand das Dorf. Das Spielzeug hatten Eltern in den letzten Jahren auf dem Rasen platziert, alles wurde wieder verwendet. Ein Holzschild weist auf die Bedeutung hin, daneben wacht ein Engel.
Die Pfadfinder haben zugesichert, sich ab sofort als Paten regelmäßig um die Pflege zu kümmern. Das Gedenken an die Kinder soll im Fluss der Zeit lebendig bleiben. Katrin Lauerwald: „Das Sternenkinderdorf soll sich entwickeln. Ton ist ein Material, das verwittert. Und die Blumen werden vergehen und gedeihen.“