Seit zwei Jahren lebt die Roma-Familie Racipovic mit Pastor Stehr in Norderstedt Tür an Tür. Nun dürfen die in Deutschland verbliebenen Familienmitglieder in Hamburg bleiben. Ein langer Kampf geht zu Ende.
Norderstedt Die Familie Racipovic würde gerne endlich ankommen in der Freiheit. Als Roma haben sie in Serbien erlebt, was es heißt, als Ausgestoßene chancenlos in der Gesellschaft zu sein. In Deutschland haben sie im Kampf um ihr Bleiberecht erfahren, wie hoch die Hürden für die Integration in die deutsche Gesellschaft sind. Ohne die Hilfe der Norderstedter Schalom-Kirchengemeinde wären sie für die Racipovics kaum zu nehmen gewesen.
Pastor Christian Stehr und der Kirchenvorstand haben sich aber vor zwei Jahren für den Rechtsbruch entschieden, für einen Verstoß gegen das Ausländerrecht. Sie handelten aus Nächstenliebe, aus der festen Überzeugung heraus, dass kein Mensch illegal ist, nirgendwo. Sie gewährten den Racipovics Kirchenasyl und verhinderten so, dass die Roma-Familie wieder nach Serbien ausreisen musste. Nun ist das Kirchenasyl offiziell beendet. Und die Racipovics dürfen in Deutschland bleiben. Zumindest vorerst.
Der Rechtsbruch mit Ansage wird von den Behörden geduldet
Boban Racipovic sitzt mit Pastor Stehr in der kleinen Wohnung in der Schalom-Gemeinde auf dem Sofa. „Wir sind dankbar für Christians Hilfe, ohne die wir das alles sicher nicht geschafft hätten.“ Pastor Stehr und seine Frau Ute sorgten in den vergangenen zwei Jahren nicht nur für Antworten auf viele Fragen. Sie lebten auch Tür an Tür mit der Familie Racipovic zusammen. „Das reichte von ,Hast du mal Zucker?’ bis zu komplizierten Fragen bei der Klärung des Bleiberechts“, sagt Stehr. Unterstützt wurde der Pastor dabei von einem Kreis aus Gemeindemitgliedern und Aktiven aus der Flüchtlingsarbeit in Norderstedt. Finanziert wurde das Asyl mit Spenden aus der Gemeinde. Das Kirchenasyl wird den Behörden angezeigt. Der faktische Rechtsbruch wird in der Regel geduldet. „Das schleswig-holsteinische Innenministerium hat eine grundsätzlich positive Haltung zum Kirchenasyl“, sagt Stehr. „Man hat uns auch zugesichert, dass die Kinder der Familie nicht auf dem Weg zur Schule abgefischt werden.“
Zur Familie Racipovic zählen neben Vater Boban und seiner Frau Slobodanka die Töchter Selonora, 18, und Bonita, 21, sowie der Sohn Usko, 17. Usko lebt noch in Norderstedt, macht derzeit bei einem Fischhändler im Herold-Center eine Ausbildung. Tochter Bonita lebt verheiratet in Schweden, Tochter Selonora ist vor ein paar Wochen zurück nach Serbien gereist – sie hat in Belgrad geheiratet. Juristisch betreut wird die Familie vom Fluchtpunkt Hamburg, der Hilfsstelle der Nordkirche für Flüchtlinge. Denn die Racipovics sind ein Fall der Hamburger Ausländerbehörde. In der Hansestadt machte die Familie vor zwei Jahren Schlagzeilen. Von den Medien wurden die Racipovics als bestens integrierte Familie beschrieben. Tochter Selonora und Sohn Usko, beide in Hamburg geboren, bekamen von Schulsenator Thies Rabe persönlich ihre Urkunden für ein deutsches Sprachdiplom überreicht – weil sie so schnell und gut gelernt hatten. Die Appelle vieler Unterstützer der Racipovics in Hamburg nützten aber am Ende nichts. Die Härtefallkommission der Hamburgischen Bürgerschaft stimmte für die Abschiebung der Familie. Der kamen die Racipovics mit der freiwilligen Ausreise zuvor. Mittlerweile haben Vater Boban und Sohn Usko befristete Duldungen. Die Mutter Slobodanka und Tochter Selonora hatten aufgrund ihrer starken Traumatisierungen aus gesundheitlichen Gründen Aufenthaltsgenehmigungen bekommen. In Serbien haben die Racipovic Schlimmes erlebt. Angeblich sind sexuelle Übergriffe auf Roma-Frauen dort nicht selten, Roma-Kinder dürfen Schulen nicht besuchen, und die Erwachsenen können sich nur als Straßenmusiker durchschlagen. Dass Tochter Selonora nach ihrem Hauptschulabschluss in Norderstedt nun aus freien Stücken nach Belgrad ausreiste, will Pastor Stehr nicht kommentieren: „Es war ihre Entscheidung. Es gab Konflikte mit den Eltern, sie wollte endlich auf eigenen Füßen stehen.“ Nun ist Sohn Usko die letzte Sorge der Eltern. Wird er 18 Jahre alt, ist er ausreisepflichtig – doch sein Ausbildungsplatz beim Fischhändler könnte das verhindern.
Nun suchen die Racipovics eine Wohnung – und haben kaum eine Chance
Das Ende des Kirchenasyls bedeutet gleichzeitig den Auszug für die Racipovics. Denn ab November wird die Schalom-Kirchengemeinde komplett für die Kernsanierung und den Um- und Ausbau geräumt. Die Wohnungssuche gestaltet sich aussichtslos. „Wir haben kaum eine Chance auf dem Wohnungsmarkt“, sagt Boban Racipovic. „Wenn wir in Hamburg nichts finden, müssen wir in eine Asylunterkunft einziehen.“
Pastor Stehr ist froh, das Kirchenasyl erfolgreich beenden zu können. Angesichts Hunderter Flüchtlinge, die derzeit nach Norderstedt strömen, rechnet er trotzdem nicht mit einer baldigen Neuauflage dieser Ultima Ratio in der Flüchtlingshilfe. „Diese Flüchtlinge dürfen zunächst in Deutschland bleiben. Sie haben ein Asylverfahren und sind in Sicherheit. Die Racipovics durften noch nicht mal hier sein.“