Am Montag endete für 15.000 Sozialwohnungen in Schleswig-Holstein die Mietpreisbindung. In Norderstedt allein waren 574 Wohnungen betroffen. Die Fraktion Die Linke fordert eine städtische Wohnungsbaugesellschaft.
Norderstedt. Miro Berbig sagt, es gehe ihm um die ganz normalen Menschen. Damit meint der Fraktionschef der Linken in der Norderstedter Stadtvertretung nicht Doppelverdiener-Ehepaare ohne Kinder. Sondern die alleinerziehende Mutter, den Bäckergesellen, die Bedienung im Café, die Friseurin oder die Frau an der Kasse bei Penny. „Und all diese Menschen werden jetzt aus ihren Wohnungen geschmissen“, sagt Berbig.
Gemeinsam mit seinen Mitstreitern in der Stadtvertretung, Norbert Pranzas und Olaf Harning, steht Berbig am Montag vor den Wohnungsbauten an der Heidbergstraße 37 bis 87. Es ist ein wohnungspolitisch historischer Tag, von dem aber außer manchen Mietern in den Wohnungen hier kaum jemand etwa mitbekommen wird. In den Wohnhäusern sind pro Block zwölf Sozialwohnungen, also geförderter Wohnraum nach dem Wohnraumförderungsgesetz. Wohnungen, wie sie sich Menschen mit geringem Einkommen gerade noch leisten können. Als sie gebaut wurden, rang der Staat den Wohnungsbaugesellschaften mit finanziellen Zuschüssen die Verpflichtung ab, die Mieten der Wohnungen zwischen 45 und 70 Jahre günstig zu halten – die Mietpreis- oder Belegungsbindung. Doch Schleswig-Holsteins Regierung änderte das Gesetz 2007 und senkte die Bindung rückwirkend auf 35 Jahre. Und so fielen am Montag landesweit 15.000 Sozialwohnungen aus der Bindung, in Norderstedt insgesamt 574 davon.
„Diesen Leuten wird in den nächsten Tagen vielleicht schon die Mieterhöhung ins Haus flattern“, sagt Olaf Harning. In Kiel hätten Vermieter wie die Deutsche Annington und Prelios entsprechende Briefe bereits zugestellt. „Ab heute dürfen die Mieten alle drei Jahre um neun Prozent erhöht werden. Wir befürchten, dass die ehemaligen Sozialwohnungen in spätestens 15 Jahren auf dem üblichen Marktniveau angekommen sind.“ Die meisten der Mieter in den Wohnungen könnten sich aber schon kaum die ersten neun Prozent an Mietsteigerung leisten. „40 Euro mehr im Monat sind für die manchmal kaum zu wuppen“, sagt Harning.
3000 Sozialwohnungen habe Norderstedt in den 90er-Jahren gehabt, 2335 waren es am Montag und 1761 sind es noch am Dienstag. „Dabei brauchen wir in Norderstedt laut dem Norderstedter Wohnungsmarktkonzept des Gewos-Wohnungsforschungsinstitutes mindestens 4000 kleine bezahlbare Wohnungen. Gebaut werden in den nächsten Jahren aber nur etwa 280 Wohnungen“, sagt Miro Berbig. Die Wohnungsbau-Offensive von Innenminister Andreas Breitner entpuppe sich als Tropfen auf dem heißen Stein. Da würden landesweit Darlehen für etwa 1700 Wohnungen angeboten, das reiche hinten und vorne nicht, sagt Berbig.
Seine Kritik wendet sich auch an die Norderstedter Politik. „Da singen alle das hohe Lied vom sozialen Wohnungsbau. Aber es wird gekniffen, wenn es darum geht, sozialen Wohnungsbau gegenüber Bauträgern durchzusetzen“, sagt Berbig. Der überparteilich gefasste Beschluss der Stadtvertretung, 30 Prozent geförderten Wohnraum bei allen Neubauten in Norderstedt vorzuschreiben, sei durch seine Einschränkungen wirkungslos. „Das bezieht sich nämlich nur auf den Geschosswohnungsbau. Wenn ich aber nur Einzelhaus- und Reihenhaus-Siedlungen plane, muss da kein sozialer Wohnraum entstehen“, sagt Berbig. Aus seiner Sicht müsse die Vorschrift für jeden Bebauungsplan gelten. „Und die Stadtverwaltung müsste das Kreuz gerade machen und gegenüber Wohnungsbaugesellschaften mit städtebaulichen Verträgen den geförderten Wohnraum festsetzen. Das geht!“
Wie schon mehrfach getan, fordert die Linke die Gründung einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft – wohl wissend, dafür niemals eine Mehrheit in der Stadtvertretung zu finden. Zu groß sind die Bedenken der anderen Fraktionen gegen diese Idee. Berbig bleibt überzeugt vor der Wirkung dieser Gesellschaft: „Wenn die Stadt den Unternehmen kackfrech Grundstücke wegschnappt und selbst dort Wohnbauprojekte durchzieht, dann kommen die privaten ins Grübeln und ziehen vielleicht irgendwann nach.“ Berbig gibt zu, dass die Gründung einer Baugesellschaft viel Zeit brauche und sie am Ende auch nur eine überschaubare Zahl an Wohnungen bauen könnte.
Ohne die großen Wohnungsbauunternehmen, die sich zunehmend ihrer sozialen Verantwortung bewusst werden und konsequent günstigen Wohnraum schaffen müssten, wird sich die laut Berbig dramatische Lage auf dem Wohnungsmarkt nicht entspannen. „Ich kann betroffenen Mietern nur raten, ihr Schicksal öffentlich zu machen. Nur öffentlicher Druck kann eine Wende bewirken.“ Doch er befürchtet, dass viele die Mieterhöhungen hinnehmen und die Stadt verlassen werden.