Sie hatten ihren dreijährigen Sohn in einen mit Kot verschmierten Kellerraum gesperrt. Auch gegen den damaligen Jugendamtsleiter liegt eine Anzeige vor, angeklagt wird er wahrscheinlich nicht.

Kreis Segeberg Dieser Fall hat vor zwei Jahren in ganz Deutschland für Aufsehen gesorgt: Der Fall des Segeberger „Kellerkindes“ wird vor dem Landgericht Kiel verhandelt. Wie die Staatsanwaltschaft mitteilt, wurde gegen die Eltern des damals drei Jahre alten Jungen Anklage erhoben. Ihnen wird vorgeworfen, ihr Kind offenbar über einen längeren Zeitraum in einem verwahrlosten Kellerraum gesperrt zu haben. Gegen den früheren Jugendamtsleiter Georg Hoffmann wird wahrscheinlich keine Anklage erhoben, gehen ihn liegt aber eine Anzeige vor.

Der Fall des dreijährigen Jungen hatte in der Öffentlichkeit im Sommer 2012 für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Wie stark das Interesse damals war, beweist die Anzeige gegen Georg Hoffmann: Sie stammt von einem Bürger aus Süddeutschland, der sich darüber empörte, dass Hoffmann und seine Mitarbeiter seiner Ansicht nach zu spät eingegriffen und damit ihre Amtspflichten verletzt hätten. Die Staatsanwaltschaft behandelt diese Anzeige allerdings nur am Rande mit. Es habe von Amts wegen zu keinem Zeitpunkt Ermittlungen gegen das Jugendamt oder die im Auftrag des Amtes tätige Familienhilfe Wiegmann aus Kaltenkirchen gegeben. „Es gibt keinen Anfangsverdacht, ich gehe davon aus, dass das Verfahren eingestellt wird“, sagt der zuständige Staatsanwalt Axel Bieler. „Die Anzeige gegen Georg Hoffmann steht ganz am Ende der Kette.“

Den Eltern des Jungen wird gemeinsame Freiheitsberaubung und Verletzung der Fürsorgepflicht vorgeworfen. Sie stehen im Verdacht, im Sommer 2012 den damals dreijährigen Sohn in den Kelleraum eines Hauses am Bussardweg in Bad Segeberg gesperrt zu haben. Das Foto von dem Kind, das in einem mit Kot verschmierten Raum steht, rührte damals die Herzen vieler Zeitungsleser. Wie lange und wie oft der kleine Junge in den Keller gesperrt wurde, steht indessen nicht fest: Bewiesen sei lediglich, dass er an „mindestens einem Tag“ eingesperrt war. „Alles andere sind Spekulationen“, sagt Staatsanwalt Bieler.

Ausgesagt haben inzwischen auch zwei Schwestern des kleinen Jungen. Die heute 15 und 13 Jahre alten Mädchen waren von den Eltern mehrfach geschlagen worden. 14 Fälle sind nach Angaben der Staatsanwaltschaft nachweisbar. Rechtsmedizinische Gutachten gäbe es nicht. In diesen Punkten ist der Vater wegen Körperverletzung angeklagt. Eine Misshandlung von Schutzbefohlenen liege nicht vor. „Die Mädchen wurden nicht gequält oder roh behandelt“, sagt Axel Bieler.

Immer wieder waren im Kinderhort und in der Schule Spuren körperlicher Gewalt, aber auch Traumata infolge erniedrigender verbaler Kommentare festgestellt worden. Die Eltern hätten sogar den Geburtstag ihrer dritten Tochter vergessen. „Die Kinder gerieten zunehmend in die soziale Isolation“, stellte das Jugendamt fest. Aber erst 2010 wurden drei Kinder aus der Familie in andere Obhut gebracht. Diese Einzelheiten stehen in einem 70 Seiten umfassenden Gutachten. Der Gutachter hatte ein Versagen des gesamten Systems, nicht aber einzelner Personen, als Ursache für die fatale Entwicklung in der Segeberger Familie genannt. Die beiden Mädchen und der Junge, der mit dem traurigen Begriff des „Kellerkindes“ in die Medien gelangte, leben nicht mehr bei den Eltern. Sie sind auf Pflegefamilien in Schleswig-Holstein verteilt.

Immer wieder stand die Frage im Raum, warum trotz der offensichtlich bekannten unmenschlichen Erziehungsmethoden die Eltern bis zum Juni 2012 drei Kinder in ihrer Obhut behalten durften. Während der Verhandlung vor dem Landgericht geht es jedoch nicht um diese behördlichen Details. Die wurden inzwischen abgearbeitet. Die politischen Konsequenzen aus dem Fall wurden bereits vor einem Jahr gezogen: Die Politiker waren sich einig, dass die Verwaltung die Brisanz des Falles zunächst nicht erkannt habe, die Politik der scheibchenweisen Information falsch gewesen sei.

Ein Sonderausschuss hatte sich in monatelanger Arbeit mit dem Fall beschäftigt und kam unter anderem zu dem Schluss, dass die Zusammenarbeit zwischen den Trägern des Jugendschutzes verbessert werden muss. Es soll häufigere Fachkonferenzen geben, die Mitarbeiter des Jugendamtes sollen regelmäßig an Fortbildungsprogrammen teilnehmen, Supervision fester Bestandteil der Arbeit sein.

Die Staatsanwaltschaft hat Anklage vor der Jugendschutzkammer des Landgerichts Kiel erhoben, um der besonderen Schutzbedürftigkeit der Kinder gerecht zu werden. Auch wegen des zu erwartenden Medienansturms während der Prozesstage sei der Prozess im Landgericht besser aufgehoben. Aussagen werden nach Angaben Bielers die älteren Mädchen des Ehepaares, keinesfalls aber der kleine Junge. Einen Prozesstermin gebe es noch nicht, da die Jugendkammer zunächst die Zulassung der Anklage prüfen müsse.