Wer vor der Reform der Verkehrssünderkartei Punkte abbauen will, kann noch ein Aufbauseminar besuchen. Bis zu vier Punkte werden gestrichen, wenn die Teilnehmer nicht mehr als sieben gesammelt haben.

Norderstedt. Für Siegfried Todzi, 61, ist ein sogenanntes Aufbauseminar für Punkteabbau (ASP) so etwas Ähnliches wie eine Gruppe der Anonymen Alkoholiker: Eine Selbsthilfegruppe – und der Norderstedter Fahrlehrer ist dabei der Moderator: „Meine Aufgabe ist es vor allem, die richtigen Fragen zur richtigen Zeit zu stellen. Bewerten und einschätzen sollen sich die Kursusteilnehmer selbst.“

In solch einem Aufbauseminar kommen Menschen zusammen, die in der Flensburger Verkehrssünderkartei viele Punkte gesammelt haben. Und zwar so viele, dass der Verlust der Fahrerlaubnis für mindestens ein Jahr droht. Bevor aber der Führerschein kassiert wird, ordnet die Behörde ein Aufbauseminar an. Das gilt für Kraftfahrer mit 14 Punkten. Wer 13 Punkte oder weniger hat, kann mit dem Kursus Punkte abbauen, damit es gar nicht erst so weit kommt. Bis zu vier Punkte werden gestrichen, wenn sie nicht mehr als sieben gesammelt haben, ansonsten sind es zwei. Das wird sich allerdings ändern, denn mit der Reform der Flensburger Kartei und des Punktesystems wird es künftig sogenannte Fahreignungskurse geben, die ab sechs Punkten nach dem neuen System verpflichtend angeordnet werden. Gestrichen wird dann nur noch ein Punkt. „Wie das genau aussieht, wissen wir noch nicht“, sagt Todzi. Derzeit aber gelten noch die alten Regeln.

Die Teilnehmer des Kurses, der dieser Tage an der Berliner Allee zu Ende ging, gehören damit zu den letzten Autofahrern in Norderstedt, die Punkte nach dem alten System abbauen konnten. Oberste Prinzipien dabei sind Anonymität und Vertrauen. Fahrlehrer Todzi erzählt deswegen im Gespräch mit dem Abendblatt auch nur über allgemeine Probleme von Autofahrern mit vielen Punkten und stellt seine Beispiele so dar, dass aus ihnen keine Rückschlüsse über die Identität seiner Seminarteilnehmer gezogen werden können.

„Der Kursus beginnt mit der Frage: Warum bin ich eigentlich hier?“, sagt er. So gut wie immer resultieren die Punkte aus zu schnellem Fahren und zu geringem Sicherheitsabstand. Zuweilen kommen eine rote Ampel oder – gerade bei jungen Fahrern – das Handy am Steuer dazu. Die meisten Teilnehmer aber sind etwas älter, haben den Führerschein schon lange, sind selbstständig – und auf das Auto angewiesen. Ihre Sünden in Flensburg hängen auch mit dem Terminstress zusammen. Laut Todzi ist aber allen klar, was einen guten und sicheren Autofahrer ausmacht. In der Regel betonen alle Teilnehmer, dass sie gute Autofahrer sind. Wenn es aber ans Fahren geht – dies ist der zweite Akt des Seminars nach dem ersten Kennenlernen –, dann würde sich schnell zeigen, warum die Männer und Frauen so viele Punkte gesammelt haben. Es werde gedrängelt und zu schnell gefahren, so Todzi.

„Ich lasse die Teilnehmer Wege fahren, die sie kennen, da fühlen sie sich sicher und fahren so wie immer“, betont der Norderstedter Fahrlehrer. „Die Teilnehmer beobachten sich gegenseitig, ich sitze nur daneben, bin nur Begleiter.“ Weil in der Gruppe untereinander großes Vertrauen herrsche und nichts von dem Besprochenen nach außen dringe, falle es den Teilnehmern danach leichter, sich zu öffnen und auch zu erkennen, welche große Rolle die Gefühle im Straßenverkehr spielen. „Die kann man nun mal nicht abstellen“, sagt Todzi.

Nach der Bestandsaufnahme geht es zur Reflexion und darum, Strategien zu finden, um das Verhalten zu ändern. „Den Teilnehmern wird dabei ganz allmählich klar, dass es so, wie sie es mit der Geschwindigkeit gemacht haben, nicht sinnvoll ist“, sagt der Fahrlehrer. Er berichtet von einem Vorstandsmitglied, das jeden Tag eine weite Strecke fahren musste und erst durch das Aufbauseminar darauf kam, dass die überhöhte Geschwindigkeit ihn auch nicht schneller ans Ziel führte. „Er hat dann gemerkt, dass langsameres Fahren auch noch viel Benzin spart und hat weitere Strategien zum Spritsparen entwickelt“, so Todzi. Das passiere oft zwischen der dritten und vierten Sitzung, wenn das eigene Fahrverhalten kritisch beobachtet werden soll.

Zum Schluss geht es um Strategien zum Abbau der Gründe, die zum Fehlverhalten geführt haben. „Ich habe immer einen Stick mit guter Musik dabei, die mich dann entspannt“, erzählt Todzi von seinen eigenen Erfahrungen. Denn auch er sieht sich als normalen Verkehrsteilnehmer. Er fahre nicht automatisch immer korrekt, gibt er zu. Auch die Seminarteilnehmer sollen am Ende des Kurses Strategien dafür entwickeln, wie sie künftig ohne Punkte zu sammeln Auto fahren – und damit den Führerschein behalten.

So habe ein ehemaliger Teilnehmer noch während der Seminarzeit den Sportwagen verkauft, ein anderer sich eine Bahncard zugelegt. „Solche Lösungen kommen oft zur letzten Sitzung zustande, die Teilnehmer werden im Laufe des Kurses nämlich immer eifriger“, weiß der Fahrlehrer aus Erfahrung. Und selbst diejenigen, die am Anfang mit mürrischem Gesicht das Ganze über sich ergehen lassen wollten, sind meistens vom Ergebnis recht angetan.

Ab Mai ist der Führerschein ab acht Punkten weg

Mit der Reform der Verkehrssünderkartei am 1. Mai werden einige Punkte sofort aus der Kartei gelöscht, denn es werden künftig nur noch Verstöße gegen die Verkehrssicherheit mit Punkten bestraft, und dies wird auch beim Umrechnen berücksichtigt. Unerlaubtes Einfahren in eine Umweltzone oder Missachtung des Sonn- und Feiertagsfahrverbots werden zwar weiter mit Geldbuße belegt, aber nicht mehr mit Punkten. Alle anderen Punkte werden nach einem Schlüssel umgerechnet und in die künftige Fahreignungskartei übernommen.

Die Skala von einem bis zu sieben Punkten je Verstoß wird zudem vereinfacht, es gibt für die meisten Verstöße und Vergehen einen oder zwei Punkte, drei Punkte als Maximum nur noch für Verkehrsstraftaten wie Unfallflucht oder Fahren im Vollrausch.

Ganz weg ist der Führerschein dann bei acht Punkten statt derzeit bei 18 Punkten. Und ab Mai kann in fünf Jahren nur ein Punkt abgebaut werden, zurzeit sind es noch fünf Punkte.