Als die Karl-May-Spiele 1952 aus der Taufe gehoben wurden, war Ernst Reher dabei. Auch heute noch besucht der 82-Jährige regelmäßig Aufführungen.
Wenn Ernst Reher auf seiner Terrasse sitzt und über die Teichanlage im Garten blickt, genießt er die Ruhe. Es sind nur wenige Minuten Fußweg bis zum Freilichttheater, das im Laufe der Jahrzehnte zu einem festen Bestandteil seines Lebens geworden ist. Der 82 Jahre alter Segeberger gehört zu den wenigen noch lebenden Personen, die das Spektakel am Kalkberg von Beginn an miterlebt haben.
Ernst Reher war aktiv dabei, als die Spiele 1952 eröffnet wurden, und er hatte die Chance, die Karl-May-Spiele in der Zeit des Aufbruchs gestaltend zu begleiten: 17 Jahre lang, von 1982 bis 1999 war er als Geschäftsführer der Kalkberg GmbH entscheidend am immer größer werden Erfolg der Spiele beteiligt.
Rückblende in das Jahr 1952. Im April des Jahres beschließt die Stadtvertretung, auf das Angebot des Oberspielleiters der Lübecker Bühnen, Robert Ludwig, einzugehen, Karl-May-Spiele vor der Felsenkulisse des Kalkberges zu inszenieren. Mit einem Etat von 25 000 Mark wird die Inszenierung "Winnetou" innerhalb eines Vierteljahres buchstäblich aus dem Boden gestampft. Ein wild-west-gerechter Schnellschuss also.
Aber die Segeberger Bevölkerung ist begeistert: "Alle standen dahinter", erinnert sich Ernst Reher, der damals Verwaltungsangestellter der Stadt Bad Segeberg war. Sechs Stadtvertreter und sechs Bürger bilden den Karl-May-Ausschuss, Stadtwerkeleiter Georg Jensen stellt Räume zum Nähen der Kostüme zur Verfügung, Schüler der Dahlmannschule studieren Tänze ein.
In der Jahresrechnung 1952 der Stadt Bad Segeberg werden die Karl-May-Festspiele so bilanziert: 22 972 Mark Personalkosten für Oberspielleiter und Schauspieler, 39 334 Mark für Sachkosten für die Veranstaltung, einschließlich Werbung, 7418 Mark Personalkosten innerhalb der Stadtverwaltung. Auf der Ausgabenseite steht also die Summe von 69 724 Mark.
Auf der Einnahmenseite werden 72 955 Mark Eintrittsgeld verbucht. Der Überschuss von 3231 Mark macht alle froh, denn der von der Stadtvertretung bereitgestellte Betrag von 25 000 Mark muss nicht in Anspruch genommen werden. Vom Überschuss profitiert die Kreishauptbücherei. Ihr werden 3100 Mark überwiesen.
Und Ernst Reher lässt sich als Werbeträger einspannen: Als Indianer verkleidet fährt er an die Ostsee, um Prospekte zu verteilen, er lässt sich an den Marterpfahl binden und führt Pferde durch die Gegend. Für Werbefotos mimt er ebenfalls den Indianer. "Eine Stadt spielt Karl May" lautet das Motto.
Vor 60 Jahren kamen durchschnittlich 6560 Besucher pro Vorstellung
Premiere ist am 16. August, gespielt wird damals sonnabends und sonntags um 15 und 19.30 Uhr. Zu den 15 Vorstellungen kommen 98 400 Besucher. Durchschnittlich 6560 Besucher pro Vorstellung - ein Ergebnis, von dem die Kalkberg GmbH heute noch nicht einmal träumen darf. Die Zuschauer kommen per Bus und Fahrrad, Jugendgruppen übernachten auf Stroh in einer Scheune - Ernst Reher schiebt die Nachtwache.
In dem aus einem Gipsbruch von 1934 bis 1936 geschaffenen Freilichttheater, das vom Nazi-Propagandaminister Goebbels eröffnet wurde, liegen für die Zuschauer nur in den unteren Reihen Sitzplatten aus. Den Schauspielern stehen weder Umkleideräume, noch sanitäre Einrichtungen zur Verfügung. Aber die Unzulänglichkeiten stören die Menschen wenig, sie sind durch die Kriegs- und Nachkriegszeit nicht gerade verwöhnt.
Am 1. Mai 1952 bringt die "Segeberger Zeitung" einen kurzen Hinweis auf die bevorstehenden Karl-May-Spiele. "Die Aufführungen der Winnetou-Festspiele", so heißt es, "für die es einen natürlicheren und wirkungsvolleren Schauplatz als die Felswände um das Freilichtrund der Segeberger Naturbühne sicher nicht gibt, sollen am Sonnabend, 16. August, beginnen und bis einschließlich 7. September dauern. Man darf, wenn man die Zugkraft des hier szenisch behandelten Milieus in Rechnung stellt, mit einem großen Besucherstrom rechnen, den es richtig zu verteilen und zu lenken gilt."
In der Premierenkritik am 18. August heißt es dann: "Das Buch hat Stärken und Schwächen, und auch die Inszenierung fordert zur Zustimmung und zu manch leisem Zweifel heraus. Es war eine Premiere, die allen einen reichen Genuss im Banne der Zauberwelt Karl Mays erschloss, dem Spielleiter und seinen Mannen Erfolg und Blumenangebinde eintrug und die Zuschauer je nach Jahrgang und Karl-May-Zugehörigkeit mehr oder minder begeistert entließ."
Ernst Reher macht die erwartete und erhoffte Karriere in der Stadtverwaltung, in der er 1944 seine Ausbildung begonnen hatte. 1957 wird er Stadtkämmerer, 1978 wird er zusätzlich Büroleitender Beamter. Aber die Karl-May-Spiele haben ihn gepackt und nicht wieder losgelassen. Nach einem glücklosen Intermezzo von Anke Hemann übernimmt Ernst Reher 1982 die Geschäftsführung der Kalkberg GmbH, die seit 1980 die Karl-May-Spiele veranstaltet. Seinen "Brotjob" als leitender Verwaltungsangestellter allerdings behält er bis zu seinem Eintritt in die "Ruhestand" 1991. Erst dann wird er hauptamtlicher Geschäftsführer. "Es war dann ein bezahltes Hobby", sagt Ernst Reher, der seinen Colt samt Lederhalfter immer noch im Hause hat.
Geschickt lenkt er die Spiele durch Höhen und Tiefen. Er lernt Schauspieler kennen, die ihn beeindrucken. Rainer Schöne war für ihn der Westmann schlechthin, Jochen Baumert der Sam Hawkins, Freddy Quinn ein sehr professioneller Sam Hawkins, Elke Sommer ein sehr ehrgeiziges Ensemblemitglied.
Pierre Brice hat Ernst Reher das Du angeboten
Freundschaftliche Verbindung pflegt er heute noch mit dem früheren Stuntman und späteren Intendanten Peter Hick, der heute für die Störtebecker-Festspiele auf Rügen verantwortlich ist. Gute Kontakte hat er noch zu den Karl-May-Recken Joshy Peters und Nico König. Und stolz ist Ernst Reher auf eine Begebenheit aus dem Jahre 1999: Pierre Brice, der damals Regie führt, bietet Ernst Reher bei seiner Verabschiedung in den Ruhestand das Du an. Kontakt allerdings hat er heute nicht mehr zu dem französischen Schauspieler.
Die heutigen Karl-May-Spiele faszinieren Ernst Reher, dem es gesundheitlich gut geht und überraschend fit ist, immer noch. Erol Sander hält er für einen ausgesprochen guten Winnetou, auf Ute Thienel, seine Nachfolgerin in der Geschäftsführung, hält er große Stücke. Er kennt sie noch als Mitarbeiterin in der Stadtverwaltung. Einen besonderen Wunsch hat Ernst Reher allerdings: "Es wäre schön, wenn der Kalkberg mehr einbezogen werden könnte." Das allerdings liegt nicht im Ermessen der Kalkberg GmbH und des Regisseurs. Die Untere Naturschutzbehörde gibt dafür keine Genehmigung.