Interview mit Dr. Gernot Langs. Der Mediziner warnt vor zu hohem Leistungsdruck

Bad Bramstedt. Jeder fünfte Arbeitnehmer ist vom Burn-out-Syndrom gefährdet. Aber über diese Krankheit wissen selbst Fachleute noch wenig. Das Hamburger Abendblatt sprach mit Dr. Gernot Langs, Chefarzt in der Schön-Klinik Bad Bramstedt, über das Erschöpfungssyndrom.

Hamburger Abendblatt:

Woran liegt es, dass die Zahl der Burn-out-Fälle in den vergangenen Jahren sprunghaft angestiegen ist?

Dr. Gernot Langs:

Zum einen wächst sicherlich die Akzeptanz darüber, dass es das Krankheitsbild Burn-out gibt. Das führt dazu, dass mehr Menschen mit ihren Beschwerden einen Arzt aufsuchen und dieser die Diagnose überhaupt stellen kann. Zum anderen steigen die Ansprüche an den einzelnen permanent. Das kann zu Überlastungen führen - und zwar nicht nur bei Managern oder Leistungssportlern. Prinzipiell können alle Personengruppen betroffen sein, zum Beispiel auch Hausfrauen. Sie tragen eine Mehrfachbelastung als Mutter, Ehefrau und vielleicht noch Berufstätige. Wenn dann noch der Anspruch besteht, in allem perfekt sein zu wollen, und das sieben Tage die Woche rund um die Uhr, dann kann das einen Burn-out-Prozess in Gang setzen.

Wie definieren Sie einen Burn-out?

Langs:

Wichtig ist es zu unterscheiden zwischen dem Burn-out-Prozess (der Weg dorthin) und dem Burn-out-Syndrom. Der Prozess beginnt typischerweise mit einem hohen Leistungsanspruch an sich selbst. Häufig haben die Betroffenen zudem unrealistische Erwartungen an sich, aber auch an die "Umwelt". Das bedeutet, sie erwarten ideale Voraussetzungen, die es in der Regel nicht geben kann. Das Burn-out-Syndrom wird definiert durch Erschöpfung (emotional und körperlich): Burn-out-Patienten haben das Gefühl, völlig ausgelaugt und "leer" zu sein, sie sind müde und reagieren leicht gereizt.

Subjektive Leistungs-Unzufriedenheit: Burn-out-Patienten haben den Eindruck, nie genug Leistung zu bringen und den Anforderungen nie gerecht zu werden.

Zynismus ("Dehumanisierung"): Der Betroffene schafft emotionalen Abstand zwischen sich und seinem Umfeld und wird häufig auch zynisch.

Wie behandeln Sie einen Burn-out?

Langs:

In der Schön-Klinik behandeln wir Burn-out psychotherapeutisch. Dabei bezieht sich unser Therapieangebot individuell auf den Menschen (nicht auf den Beruf) und stellt die Kognitionen und Emotionen ins Zentrum. Wir helfen dem Patienten zum Beispiel dabei, seine Leitsätze zu erkennen und zu verändern. Darunter verstehen wir innere Antreiber, die alle Aspekte unseres Lebens bestimmen, zum Beispiel: "Ich muss alles unter Kontrolle haben". Derartige Leitsätze prägen uns sowohl im Berufs- wie auch im Privatleben. Deshalb mögen zwar Probleme am Arbeitsplatz der Auslöser eines Burn-out-Syndroms sein, aber als Mensch nimmt man sich quasi überall hin mit.

Wie lang sind die Wartezeiten auf einen Platz in der Klinik?

Langs:

Die Frage nach Wartezeiten können wir nicht pauschal beantworten. Jeder einzelne Aufnahmeantrag wird individuell von uns geprüft, sehr häufig in einem persönlichen Vorgespräch.

Welche Rolle spielt die ambulante Versorgung?

Langs:

Die ambulante psychotherapeutische Versorgung spielt generell eine sehr wichtige Rolle. Die Möglichkeiten einer ambulanten Therapie sollten zunächst ausgeschöpft sein, bevor ein Patient stationär aufgenommen wird. Und auch nach einer stationären Betreuung ist die ambulante psychotherapeutische und medizinische Nachbetreuung sehr wichtig für den langfristigen Therapieerfolg. Im Rahmen einer solchen Nachbetreuung kann die ambulante Versorgung Rückfällen vorbeugen.

Wer ist besonders gefährdet und wie schützt man sich?

Langs:

Das Burn-out-Risiko lässt sich nicht an Berufsgruppen festmachen. Besonders gefährdet sind in der Regel Menschen mit hohen Ansprüchen an sich selbst, die diese auch immer zu 100 Prozent umsetzen wollen. Um sich zu schützen, sollte man versuchen, sich realistische Ziele und Prioritäten zu setzen. Es ist unmöglich, gleichzeitig ein perfekter Chef, Vater und Partner zu sein. Darüber hinaus sollte man lernen, achtsam mit sich selbst zu sein. Sich ganz bewusst Gutes zu gönnen, ist keine Selbstverständlichkeit.

Kann auch ein Arbeitgeber etwas dafür tun, seine Angestellten vor Überlastung zu schützen?

Langs:

Wertschätzung am Arbeitsplatz ist ein ganz zentrales Element dafür, dass Mitarbeiter sich nicht so schnell überfordert fühlen. Wenn man sich wertgeschätzt fühlt, in dem was man tut, wenn die eigene Leistung anerkannt wird und man vielleicht auch das Gefühl bekommt, selbst etwas beeinflussen zu können, sind die Voraussetzungen schon sehr positiv.