50 Soldaten des Instandsetzungsbataillons 166 aus Boostedt bereiten sich in einem Nato-Übungslager auf den nächsten Auslandseinsatz vor

Kreis Segeberg. Auf den ersten Blick sieht Schierenbleeken wie ein normales Dorf aus: mit gelbem Ortsschild, einem kleinen Bahnhof und ein paar Häuschen. Auch eine Telefonzelle fehlt an der Durchgangsstraße nicht. Ein scheinbar friedliches Bild, das sich den Soldaten bietet, als sie mit ihrem Konvoi langsam durch Schierenbleeken rollen. Aber irgendetwas stimmt nicht: Auf der Straße ist kein Mensch zu sehen. Der junge Feldwebel, der den Befehl über die Kolonne hat, wird misstrauisch. Als er den auffälligen Haufen mit Blechdosen am Fahrbahnrand entdeckt, ist es schon zu spät. Der Knall einer Explosion fährt den Soldaten in die Knochen, aus einem Fenster feuert ein Unbekannter mit einem Maschinengewehr auf die Fahrzeuge. Sekunden später schreien Verwundete um ihr Leben. Stress pur für den Feldwebel und seine Männer aus der Rantzau-Kaserne in Boostedt, die im kommenden Jahr in Afghanistan im Einsatz sein werden. Schierenbleeken soll sie auf den Einsatz vorbereiten - auf Milizen, Sprengladungen, Beschuss und darauf, trotzdem die Nerven zu behalten.

Schierenbleeken liegt wenige Kilometer vom Kurort Bad Fallingbostel entfernt, im Herzen Niedersachsens. Der Ort, der sich in Sekunden in eine "kill zone" verwandelt hat, steht jedoch auf keiner Landkarte. Schierenbleeken ist eine fiktive Gemeinde. Ohne Einwohner mitten im Nato-Übungslager Oerbke, in dem sich jährlich Tausende Soldaten auf ihre Einsätze vorbereiten. Früher stand das Gelände unter dem Kommando der britischen Armee, die eine Abteilung der legendären "Wüstenratten" immer noch hinter hohen Zäunen stationiert hat. Die Panzertruppe "Desert Rats" kämpfte im Zweiten Weltkrieg Rommels Truppen in Afrika nieder und war in den Golf-Kriegen.

Schierenbleeken könnte auch in Afrika liegen, wenn die Übungsleitung das plant. Doch meistens liegt es in Afghanistan. Die Übungsszenarien führen den Soldaten vor, was sie am Hindukusch erwarten könnte. 4300 Männer und Frauen der Bundeswehr sind dort im Einsatz, 50 vom Instandsetzungsbataillon 166 aus Boostedt werden im neuen Jahr für vier Monate dazu gehören. Außerdem stellt das Bataillon einige Spezialisten, die ins Kosovo gehen.

"Der Einsatz ist nicht ohne Risiko", sagt ihr Kommandeur, Oberstleutnant Holger Draber, über Afghanistan. Auch wenn er betont, kein mulmiges Gefühl zu haben, wenn er seine Soldaten dorthin schickt. "Einsätze sind in der Bundeswehr Normalität geworden", sagt Draber. "Wir geben unseren Soldaten das nötige Rüstzeug mit." Eine Woche begleitet er seine Soldaten bei der Ausbildung im Nato-Lager, fährt die Stationen ab, lobt und kritisiert.

Seine Männer reisen nicht als geschlossener Verband nach Afghanistan, sondern werden auf diverse Standorte wie Mazar-e-Shariff oder Kunduz verteilt und sind für die Technik zuständig. Wichtigste Aufgabe der Instandsetzer wird die Reparatur von gepanzerten Radfahrzeugen sein. Außerdem braucht die Bundeswehr Spezialisten für Klimaanlagen, Funkgeräte und andere technische Ausrüstung. Die Männer beraten darüber hinaus die afghanische Armee, die langfristig für die Sicherheit im Land sorgen soll. Für alle gilt: Die Arbeit wird nicht nur im geschützten Lager erledigt. Bleibt ein Fahrzeug mit Motorschaden bei der Patrouille liegen, müssen die Männer raus, reparieren oder notfalls bergen. Dass sie nach Afghanistan reisen werden, erfahren die Soldaten sechs bis neun Monate bevor sie mit einer Transall über Usbekistan ins Einsatzgebiet fliegen.

Schon vor Monaten hat Draber eine Liste erhalten, welche Funktionen er mit seinen 710 Soldaten besetzen muss. Wer innerhalb der vergangenen zwei Jahre im Ausland im Einsatz war, kommt nicht infrage. 50 Soldaten des Bataillons halten sich sechs Monate für die Schnelleingreiftruppe "Nato Response Force" (NRF) bereit und können kurzfristig weltweit eingesetzt werden. Auch sie stehen für Afghanistan und das Kosovo nicht zur Verfügung. Gerade bei hoch spezialisierten Soldaten wie Elektronikern könne es schon mal eng werden, sagt Draber.

Vom Ortseingang von Schierenbleeken aus hat er sich genau angesehen, wie die 20 Soldaten des Konvois auf die Attacke reagiert haben. Überraschend kam der Angriff nicht. Erfahrungen aus Afghanistan belegen, dass ein menschenleeres Dorf ein Indiz für einen bevorstehenden Anschlag sein kann. Die Menschen wurden gewarnt, haben Angst und suchen Schutz. Ein weiteres Indiz: der merkwürdige Dosenhaufen. Aufständische in Afghanistan markieren einen Punkt an der Straße. Passiert der Konvoi diese Stelle, zünden sie ihren Sprengsatz. Die Explosion reißt einem Soldaten den Arm ab, ein anderer erleidet Schusswunden - so das Szenario. Was dann passiert, kennen die Ausbilder schon: die Schocksekunde. Erst nach einem Moment der Stille reagieren die Soldaten, schießen zurück, suchen Deckung, versorgen Verwundete, informieren per Funk die Operationszentrale und machen jede Menge Fehler. Mit gesenktem Kopf hört der junge Feldwebel zu, als die Übungsleiter und sein Kommandeur aufzählen, was im Ernstfall nicht passieren darf. Die Kommunikation zwischen den Soldaten hat nicht geklappt, die Männer haben den stehenden Konvoi nicht in alle Richtungen mit ihren Waffen gegen weitere Angriffe gesichert. Sie sind zu langsam. Ein Verwundeter wird von der Böschung gezerrt, ohne dass seine Kameraden geprüft haben, ob auf dem Gelände Minen verborgen liegen.

Die 20 Soldaten müssen das Szenario wiederholen. Draber: "Das gibt Handlungssicherheit." Hier im Lager sollen die Kameraden Fehler machen, sagt er. Nicht im Einsatz.

Bei der nächsten Station sind Ohrenschützer Pflicht. Die Soldaten schießen scharf. Wieder müssen sie sich nach einem Sprengstoffanschlag auf ihren Konvoi verteidigen. Die Soldaten feuern mit ihren Sturmgewehren und dem schweren Maschinengewehr vom Dach eines Lkw. Dann knallt der Schuss einer Panzerfaust. Immer wieder kommen neue Gegner auf sie zu. Die Pappkameraden, die auf der Wiese von ihnen hochgeklappt werden, werden einfach nicht weniger. Plötzlich brüllt einer der Übungsleiter "Sicherheit!" - so laut, dass das Kommando auch durch den Ohrenschutz dringt.

Draber hat den Kampf unterbrochen. "Es gibt keine Führung. Es gibt keine Kommunikation. Sie haben einen Verwundeten vergessen." Diese Sätze müssen die Männer über sich ergehen lassen. Fehler, die in Afghanistan tödliche Folgen haben können. In Oerbke folgt auf die Manöverkritik eine zweite Chance. Beim zweiten Anlauf verteidigen sich die Soldaten wie im Lehrbuch. "Drei Tage im Lager und es läuft meistens", sagt Draber.

Seit 8 Uhr morgens sind die Soldaten auf den Beinen. Gegen 18 Uhr steht das erste warme Essen auf dem Programm. Danach üben sie bis nach Mitternacht "Nachtschießen". Einige Soldaten nutzen Nachtsichtgeräte. Die anderen machen den Feind in der Dunkelheit anhand des Mündungsfeuers seiner Waffen aus. Noch frischen die Soldaten ihr Handwerk auf, das sie überall beherrschen müssen. Im Herbst beginnen die speziellen Trainingsprogramm: Ausbilder mit Erfahrungen in Afghanistan werden die Männer auf die Besonderheiten eines Einsatz am Hindukusch vorbereiten.

Nach Neujahr fliegen die ersten Soldaten aus Boostedt nach Afghanistan. "Ich habe dabei kein schlechtes Gefühl", sagt der Oberstleutnant. "Diese Einsätze gehören zum Berufsbild dazu."