Lang ist es her. Abendblatt-Redakteur Frank Knittermeier blickt zurück auf eine Zeit, als es mehrere Lichtspielhäuser in Norderstedt gab.
Norderstedt. Der Geruch von Popcorn, das allmählich verlöschende Licht, der aufkommende Ärger, wenn sich zwei Sitznachbarn unerhört laut unterhalten und schließlich Genuss, die großen Stars auf der Leinwand zu sehen: Kinobesuche sind immer etwas Besonderes. Auch in der Zeit vielfältiger Zerstreuungsmöglichkeiten, die alle Arten von Heimkinos heute bieten - nichts kommt einem durchlachten oder vor lauter Spannung durchschwitzten Abend im Kino gleich. In Norderstedt gibt es heute nur noch ein Kino: Das Spectrum-Kino an der Rathausallee. Aber die Kino-Landschaft sah früher interessanter aus. Jede Norderstedter Ursprungsgemeinde - also Glashütte, Friedrichsgabe, Garstedt und Harksheide - hatte früher ein Kino. Keines dieser Kinos überlebte die Zeit des Kino-Sterbens. Sie mussten irgendwann schließen, und über den ehemaligen Kino-Gebäuden schien sogar eine Art Fluch zu liegen: Sie wurden abgerissen oder brannten nieder.
Volker Reißmann aus Langenhorn hat diesen Kinos für den Heimatbund Norderstedt nachgespürt und berichtet darüber im Jahrbuch 2011 unter der Überschrift: "Die Kinos in Langenhorn und im heutigen Norderstedt". Entstanden ist ein interessanter Streifzug durch ein Stück längst vergessener Kino-Geschichte. Erinnern werden sich viele Norderstedter noch an das Palette-Kino an der Ohechaussee in Garstedt. "Der König und ich" mit Yul Brynner, Deborah Kerr und Rita Moreno in den Hauptrollen lief am 5. Juli 1957 zur Eröffnung des von der Firma Hinrich Plambeck & Söhne gebauten Lichtspieltheaters. Den Namen "Palette" hatten die Grundeigentümer und der Architekt ganz bewusst gewählt, schreibt Volker Reißmann in seiner Geschichte über die hiesigen Kinos, weil die Palette das wichtigste Handwerkszeug eines Malers ist.
"Eine Stätte der Kunst sollte auch das neue Haus sein; denn schon seit langem ist der Film kein Kintopp, keine Klamotte mehr, sondern auch eine Kultur- und Kunststätte für alle, zu der sich immer mehr Menschen hingezogen fühlen, um nach des Tages Unrast Freude und Erbauung zu finden." So hieß es damals. Volker Reißmann ist ein Kino-Experte, der auch für die Zeitschrift "Hamburger Flimmern" des Film- und Fernsehmuseums Hamburg e.V. schreibt. Dort ist sein Artikel über die Kinogeschichte in Norderstedt und Langenhorn im November 2010 erschienen. Volker Reißmann ist Mitarbeiter des Staatsarchivs Hamburg und Lehrbeauftragter der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg. Zudem ist er dritter Vorsitzender des Film- und Fernsehmuseum Hamburg und Co-Autor des Buches "Mach' dir ein paar schöne Stunden: Das Hamburger Kinobuch".
Das Palette-Kino wurde gleich mit der damals modernsten Cinemascope-Technik ausgerüstet, was die Vorführung von bildgewaltigen Musicals oder Dramen auf Breitwand ermöglichte. Es war ein 584-Plätze-Haus mit einer 11 mal 4,50 Meter breiten Leinwand. Bis 1978 betrieb die Familie Plambeck das Kino selbst. 1982 wurde der große Saal in drei kleinere aufgeteilt. Am 2. Mai 2001 endete der Kinobetrieb, zwei Jahre später wurde das Haus schließlich abgerissen. Das gehört zur jüngeren Stadtgeschichte Norderstedts. Ersatz gab es schon früher: 1997 eröffnete das Spectrum-Kino mit "Mr. Bean" und "Das fünfte Element".
Doch die Norderstedter Kino-Geschichte beginnt schon viel früher. In Harksheide eröffneten 1938 die Parkhof-Lichtspiele. Der einstmals prachtvolle Saal des Hotels Parkhof an der Langenhorner Chaussee 691, kurz hinter der Ortsgrenze, wurde von Gustav Krausmann und Jan Cornils zu einem Kino mit 375 Plätzen umgebaut. Im Eröffnungsjahr liefen hier Filme wie "Das Fest der Völker", der erste Teil der beiden Olympiafilme von Leni Riefenstahl, oder Hitchcocks "Eine Dame verschwindet" und "Heimat" mit Zarah Leander und Heinrich George. 1958 wurde das Kino auf Cinemascope ungerüstet, um Filme auf Breitwand zeigen zu können. Im März 1970 wurden die Parkhof-Lichtspiele für immer geschlossen, 1972 der Gesamtkomplex abgerissen.
In Harksheide gab es ein weiteres Kino: Die Harksheider Lichtspiele an der Ulzburger Straße 332 - im Volksmund kurz Harli genannt. Von 1950 an wurden im großen Saal der 1910 errichteten Gastwirtschaft "Zum tiefen Brunnen" Filme gezeigt. Betreiber waren ebenfalls Gustav Krausmann und Jan Cornils, die zur damaligen Zeit die Kino-Könige der Provinz waren und vor allem mit Wanderkinos von sich reden machten. Das Kino mit 349 Plätzen hatte einen eigenen Eingang und existierte bis August 1972. Später entstand dort ein Supermarkt - die gut sichtbare Leinwand und der angeschrägte Fußboden blieben. Am 3. April 1977 brannte das Gebäude ab.
Die Friedrichsgaber gingen in die Angelika-Lichtspiele, die Anfang der 50er-Jahre in Wenzels Gasthof an der Ecke Ulzburger Straße/Quickborner Straße betrieben wurden - natürlich wieder von den Herren Krausmann und Cornils. Vorzugsweise montags erschien Jan Cornils mit seinem Vorführwagen und zeigte als Nachspielprogramm Filme aus dem aktuellen Angebot der großen Kino-Verleiher. Volker Reißmann hat in den Archiven nur wenige Angaben über die Angelika-Lichtspiele gefunden. Zumindest weiß jeder Norderstedter, was heute auf dem Grundstück von Wenzels Gasthof zu finden ist: Die Rock-Bar - nach Erkenntnissen der Polizei betrieben von den Hells Angels. Der Gebäudekomplex wurde 1981 durch ein Feuer zerstört.
Wenig ist auch über das Gali (Garstedter Lichtspiele) bekannt. Es befand sich im Saal des Gasthauses Lüdemann an der Ochsenzoller Straße und wurde offenbar im Januar 1955 eröffnet. Die letzte Nennung in der Heimatpresse erfolgte im März 1961. Das Objekt ist später abgebrannt.
Etwas mehr ist über die "Camera" an der Tangstedter Landstraße 547 in Glashütte bekannt. Der Bauantrag wurde im Frühsommer 1957 bei der Bauaufsicht des Kreises Stormarn gestellt, der Bau wurde am 19. April 1958 fertig. Eröffnungsfilm war offenbar das Lustspiel "Ein Amerikaner in Salzburg" mit Bruce Low und Margit Saad in den Hauptrollen, das am 1. September 1958 gezeigt wurde. Dann folgte, vom 2. bis 4. September, der Abenteuerfilm "Heiße Erde" ("Island in the Sun") mit James Mason und Harry Belafonte in den Titelrollen. Sonnabend und Sonntag gab es härtere Kost: "Verbrecherzentrale Totenkopf". Gerade einmal sechs Jahre hielt Betreiber Karl Naumann durch: Am 2. April 1962 lief in der "Camera" mit dem John-Wayne-Epos "Die Comancheros" der letzte Film.
Abspann: Die Heimatpresse berichtete damals über randalierende Jugendliche als Auslöser für die Schließung des Kinos. Der Fleischereibetrieb Max Faden hatte das Grundstück samt Kinogebäude erworben, dann zog der Bolle-Supermarkt ein, später kam ein Discount-Markt, Mitte 2011 wurde der gesamte Komplex abgerissen. Jetzt wird dort ein Wohn- und Geschäftshaus gebaut. So ändern sich die Zeiten.