Der ehemalige Polizeibeamte Gerhard Nowak kümmert sich seit 1994 um die Opfer von Gewalttaten. In 44 Fällen wurden er und seine Mitstreiter in diesem Jahr bereits aktiv.
Norderstedt. Gerhard Nowak kümmerte sich als Polizeibeamter um Einbrüche und Raubdelikte in Altona, als er den Überfall auf eine alte Dame aufklären sollte. Ein mieser Typ hatte versucht, der Rentnerin im Vorbeigehen die Handtasche wegzureißen. Die Dame hatte ihre Rente in der Tasche, das ganze Geld für einen Monat. Sie klammerte sich an das Stück Leder, als ob es um ihr Leben gehe. "Der Dieb schleifte sie mitsamt der Tasche über das Pflaster - die Frau sah furchtbar aus", erinnert sich Nowak.
Er schnappte den Halunken, buchtete ihn ein und tröstete die Frau, die jetzt ohne Geld da stand. "Denn das war zwar sichergestellt, konnte aber bis zum Prozess nicht freigegeben werden - und bis dahin konnte es dauern", sagt Nowak. Also besuchte Nowak den Täter in der Zelle und redete auf ihn ein: Wenn er zugab, dass das Geld nicht seines war und er es damit freigab, sei die Frau gerettet. Der Täter willigte ein, die Frau bekam ihr Geld und Nowak ein Verfahren an den Hals. "Der Dieb beschwerte sich, ich hätte ihn zu sehr unter Druck gesetzt", sagt Nowak. Das Verfahren wurde schnell eingestellt.
Für Gerhard Nowak war danach klar, dass das Engagement für die Opfer eines Verbrechens genauso wichtig ist, wie die Ermittlungen gegen die Täter. Irgendwann lief dann Deutschlands prominentester Fernsehermittler und Jäger der Nepper, Schlepper und Bauernfänger über die Gänge des Landeskriminalamtes in Hamburg. Eduard "XY Ungelöst" Zimmermann warb für seine Opferschutzorganisation "Weisser Ring".
"Das mach'ste", sagte sich Nowak, seit vielen Jahren im Polizeidienst, trat bei und kümmerte sich nach dem Ausscheiden aus dem Dienst im Jahr 1994 ehrenamtlich um die Außenstelle des Rings in Kaltenkirchen. Bis heute.
Es ist ein Wirken im Stillen. Denn während über die Verfolgung und später die Rehabilitation der Täter laut und breit diskutiert wird, sorgt die Nachsorge für Opfer so gut wie nie für Schlagzeilen. Umso wichtiger ist, dass sich die Norderstedter Politik gerade einstimmig für einen Beitritt der Stadt zum "Weissen Ring" entschieden hat. 200 Euro Jahresbeitrag sind nicht viel, die symbolische Kraft der Anerkennung der Organisation wiegt schwerer. "Mir und meinen zwölf ehrenamtlichen Helfern gibt so was Motivation", sagt Nowak. Jahr für Jahr sind es etwa 100 Opfer, mit deren Schicksal sich Nowak und seine Leute auseinandersetzen. In diesem Jahr sind es bis heute schon 44 Fälle. Der "Weisse Ring" wird gebraucht.
Über die Polizei, über Anwälte oder Krankenhäuser kommen die Fälle zu Nowak. Er spricht von "reinen Opferfällen", also Opfern von Vergewaltigung, Raub, Überfällen oder Gewalttaten.
Es sind prominente Fälle dabei, Straftaten, die für Entsetzen sorgten. Als 2007 eine Frau in Kaltenkirchen im Wahn ihre Eltern ersticht und ihre Geschwister verletzt, kümmerte sich Nowak um die Betreuung des Bruders der Täterin, der verstört zurückblieb. Als 2006 eine 25-Jährige aus Bad Bramstedt von zwei hasserfüllten, sadistischen Widersacherinnen gekidnappt und über eine Woche lang gequält und sexuell gedemütigt wird, da ist es der "Weisse Ring" Kaltenkirchen, der dem Opfer aus finanzschwachen Verhältnissen eine Fahrt zur weit entfernten Großmutter finanziert. "Um sie vor dem Presserummel zu schützen", sagt Nowak.
Aber es sind auch junge Männer, die von Schlägern überfallen wurden, die Flaschen über den Kopf gezogen bekamen, die danach psychisch so beeinträchtigt sind, dass sie nicht mehr richtig arbeiten können und aus dem Job fliegen. "Wir hatten mal eine Norderstedter Kassiererin, die bei einem Überfall mit einer Pistole bedroht wurde - nach zwei Tagen saß die wie immer an der Kasse. Kaum später hielt ein Täter in Norderstedt einer anderen Frau in einem Supermarkt die Pistole an die Schläfe: Die Frau brach völlig zusammen und konnte nicht mehr arbeiten. Jeder Fall ist anders", sagt Gerhard Nowak. Beim "Weissen Ring" gebe es keine Verjährung. Eine Frau kam 30 Jahre nach einer Vergewaltigung zu Nowak. Die Beichte in ihrer Familie war schief gegangen. Keiner wollte etwas wissen, vom bösen Onkel, der sie vergewaltigt hatte. Sie spinne und solle ruhig sein. "Bei einer Anzeige hätte sie ihre ganze Familie gegen sich gehabt", sagt Nowak.
In anderen Fällen hilft der "Weisse Ring" mit anwaltlicher Unterstützung bei der Anklage. In Missbrauchsfällen hat der Verein durchgesetzt, dass den Opfern der Verhörmarathon bei Polizei, Staatsanwaltschaft und vor Gericht erleichtert wird und dass es bei einem einmaligen Video-Verhör für alle Instanzen bleibt. Doch bei dem Fall eines Mädchens, das von ihrem Vater vergewaltigt worden war und deswegen schon zweimal versucht hatte, sich das Leben zu nehmen, wurde dieser Opferschutz ad absurdum geführt. Der Vater stand in Berlin vor Gericht, das Mädchen sollte dort ein weiteres Mal aussagen. "Die Mutter sagte: ,Wenn sie das Kind töten wollen, dann zwingen sie es dazu.' Das Video-Verhör des Mädchens war bei der ermittelnden Staatsanwaltschaft verloren gegangen", sagt Nowak. Das Berliner Gericht bestand auf einer Aussage. Als sich Mutter und Tochter weigerten, wurde der Vater in Berlin trotz aller Zweifel freigesprochen.
"Beim ,Weissen Ring' dürfen sie nicht gleich aufgeben, wenn sie mit dem Schädel gegen eine Wand gelaufen sind. Sie müssen ihn sich schon weich schlagen können", sagt Nowak. Zu seinen zwölf Mitstreitern zählen Anwälte, Ärzte, Krankenschwestern und Polizisten. Um manche Fälle kümmern sie sich ein paar Tage, um andere jahrelang. Die Arbeit kann belastend sein, die Schicksale lassen sich nicht immer leicht ertragen. Berührungsängste oder Vorurteile sind beim "Weissen Ring" nicht gern gesehen. Ein Jahr lang werden Helfer von Nowak eingearbeitet, in Ausbildungslehrgängen werden die theoretischen Inhalte vermittelt. Wobei Gerhard Nowak ein Mann der Tat ist und es nicht mag, wenn die Dinge zerredet werden. Machen, nicht schnacken. Gerhard Nowak betont: "Wenn Helfer mal was falsch machen, ist das nicht schlimm. Nur wer nichts macht, macht keine Fehler."