Klassentreffen: Ehemalige Garstedter Schüler sahen sich nach 50 Jahren wieder. Die meisten erinnern sich gern an ihre Schulzeit in den 50er Jahren - auch wenn Diskussionen und Widerspruch damals noch Fremdworte waren.

Norderstedt. Ein Blick, Kopfschütteln und eine Frage: "Hilf mir mal: Wer bist Du noch mal?" Und eine Antwort: "Ich bin doch Christel". Eigentlich klar, nur die Zeit hat so manche Falte ins Gesicht gegraben, hat die Haare grau gefärbt und bei manchem auch ein paar Kilos mehr auf die Hüften gepackt.

50 Jahre sind vergangen, seitdem sich die Garstedter gemeinsam aus der Schule ins Leben verabschiedet haben. Jetzt haben sich die ehemaligen Klassenkameraden wiedergetroffen und einen Ort gewählt, der fast direkt gegenüber ihrer alten Schule an der Niendorfer Straße im heutigen Norderstedt liegt: Im "Garstedter Hof" haben die Pensionäre in Fotoalben geblättert und die Vergangenheit zurückgeholt.

75 Jungen und Mädchen haben 1954 und 1955 die damaligen Volksschulen an der Niendorfer Straße und am Lütjenmoor verlassen. "Eigentlich war nach der achten Klasse Schluß. Aber alle, die keine Lehrstelle gefunden haben, hängten freiwillig noch ein Jahr dran", sagt Joachim Frahm (66), der das Wiedersehen organisiert hatte. In der Neunten lernten Jungen und Mädchen gemeinsam, bis dahin wurden die Geschlechter streng getrennt unterrichtet.

Diskussionen und Widerspruch waren Fremdworte. Disziplin und Ordnung beherrschten die Methodik, viele Lehrer setzten sich mit körperlicher Gewalt durch. "Auf die Finger gab es sowieso. Und dann hatten wir noch einen, der griff in die Wange und zog sie langsam und genüßlich Richtung Ohr", sagt Christel Diederich (66), die immer wieder Opfer des "Backenziehers" wurde. Einen Mitschüler hatte es so stark erwischt, daß ihm tagelang die Lymphdrüsen wehtaten.

Angst hatten viele vor dem Schwimmenlernen. Die ersten Züge machten die Jugendlichen beim Ausflug ins Schullandheim nach Holm-Seppensen in der Lüneburger Heide. Dort kamen die Nichtschwimmer an die Angel. Ihnen wurde ein Gurt umgeschnallt, und dann hieß es irgendwie über Wasser bleiben. "Sonst gingen wir unter, und davor hatten wir immer Angst", erinnert sich Christel Diederich (geborene Lutter).

Schon ihr Einstieg ins Lernleben war schmerzvoll: "Ich saß auf der Schaukel und versuchte, dem Wasser, das die Kinder aus dem Fenster auf mich schütteten, auszuweichen. Dabei vergaß ich, daß der Untergrund aus holprigen Steinen bestand und scheuerte mir die Knie auf." So mußte Klein Christel den ersten Schultag mit einem Pflaster unter jeder Kniescheibe überstehen.

Doch es gab kurz nach dem Zweiten Weltkrieg auch schon moderne Pädagogen: "Wir hatten einen Klassenlehrer, der hat schon damals ganzheitlichen Unterricht praktiziert und über den Tellerrand von Garstedt hinausgeblickt", sagt Frahm. Das hieß: Statt Heimatkunde standen die Vereinten Nationen auf dem Lehrplan.

Starken Einfluß auf den Schulalltag hatte der Mangel. "Die Zeugnisse wurden von beiden Seiten beschrieben", sagt Detlev Kröger (66). Die Schüler brachten das Dokument unterschrieben wieder mit und fanden die nächsten Noten auf der Rückseite. Im Winter mußten sie auch schon mal Briketts mitbringen, damit das Gehirn "auftaute". Nachmittagsunterricht gehörte für die jungen Garstedter zu den Selbstverständlichkeiten des schulischen Lebens. "Das lag schon daran, daß wir nicht genügend Räume für die ganzen Schüler hatten", sagt Frahm. Weil er als Junge immer klein und zu dünn war, wurde er verschickt - eine Vorstellung, bei der er heute lachen muß, denn jetzt ist er gut gerundet.

Wie die meisten ehemaligen Mitschüler erinnert er sich gern an eine Zeit, die zwar entbehrungsreich, aber auch sehr frei und kameradschaftlich war. "Das Zusammengehörigkeitsgefühl war bei uns viel ausgeprägter als bei den heutigen Jugendlichen. Nach der Schule spielten wir draußen, und es gab so gut wie keine Verbote. Eltern und Großeltern hatten alle Hände voll zu tun, um genug zu essen heranzuschaffen", sagt Kröger. Mit den Jungen aus der Nachbarschaft hat er auf dem Friedrichsgaber Weg Fußball gespielt. Heute fahren auf der wichtigen Nord-Süd-Verbindung täglich mehr als 10 000 Autos.

"Kindergeburtstage wurden nicht bei McDonald's gefeiert, sondern im Sommer mit Decke und selbst gebackenem Kuchen in der Feldmark", sagt Ingrid Hornig (67, geborene Radziwill), die aus Tostedt zum Klassentreffen gekommen war. Damit zählt sie schon fast zu den Exoten, denn: "Bis auf wenige, die ins Ausland gegangen sind, sind fast alle ihren Wurzeln treu geblieben und in den vergangenen 50 Jahren nur einmal um die Kirche gezogen", sagt Frahm.