Sparhaushalt soll heute eine Mehrheit bekommen. Riskanter Weg aus der Schuldenfalle

Kiel. Die Sparmehrheit in Schleswig-Holstein steht. In einer Fraktionssitzung der schwarz-gelben Koalition nickten gestern Nachmittag auch die zwei bisherigen Abweichler aus der CDU den Doppelhaushalt 2011/12 ab. Geht heute bei der entscheidenden Sitzung des Landtags ebenfalls alles glatt, macht Schleswig-Holstein sich als erstes Bundesland auf den langen und riskanten Weg aus der Schuldenfalle.

"Jeder Abgeordnete sieht die Notwendigkeit, das Wohl und Wehe des Landes in den Mittelpunkt zu stellen", sagte Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU). Zuvor hatte die Koalition in der Zitterpartie um ihre Einstimmenmehrheit einige Brücken zu den Sparkritikern gebaut, ihnen also Zugeständnisse gemacht. Die umstrittene Schließung des Gefängnisses in Flensburg wird für 2011 auf Eis gelegt, die Halbierung des Landesblindengeldes für Erwachsene durch eine Härtefallklausel etwas eingeschränkt. So sollen etwa 100 Schleswig-Holsteiner, die blind und taub sind, weiter den vollen Satz von 400 Euro im Monat erhalten.

Bewegung gab es auch im Streit um die Küstenschutzabgabe. Neben dem geplanten Inkasso nur bei Anwohnern von Nord- und Ostsee sowie Flüssen wie der Pinnau soll die Regierung jetzt auch ein Alternativmodell prüfen, bei dem alle Städte und Gemeinden des Landes einvernehmlich zahlen. Eine Mehrheit der Binnenland-Kommunen dürfte allerdings nicht bereit sein, etwa für Immobilienbesitzer auf Sylt finanziell einzuspringen.

Die nordfriesische CDU-Abgeordnete Astrid Damerow gab sich zufrieden und will dem Doppelhaushalt nun doch zustimmen. Auch der zweite Abweichler, Werner Kalinka, strich mit Blick auf die neuen Beschlüsse die Segel.

Trotz der Korrekturen in letzter Minute schickt Schleswig-Holstein sich an, mit dem Doppeletat Finanzgeschichte zu schreiben. Zum ersten Mal will das Land seine Ausgaben real senken, von 9,475 Milliarden (2010) auf 9,115 Milliarden (2011) und 9,272 Milliarden (2012). Möglich wird diese Kehrtwende durch das bisher größte Sparpaket in Schleswig-Holstein. Bürger müssen mehr bezahlen, etwa beim Kauf von Immobilien oder bei der Schülerbeförderung. Zugleich wird kräftig gekürzt, bei den Schulen der dänischen Minderheit, Frauenhäusern und der FH Wedel, Kultureinrichtungen wie Sozialverbänden und vor allem beim Landespersonal. Polizisten gehen später in Pension. Auf der Streichliste stehen bis 2012 allein 600 Lehrerstellen. Finanzpolitisch nötig sind solche Einschnitte, weil Schleswig-Holstein aufgrund der Schuldenbremse gezwungen ist, sein strukturelles Defizit von 1,25 Milliarden Euro bis 2020 abzubauen und danach ohne Neuverschuldung über die Runden zu kommen.

CDU-Fraktionschef Christian von Boetticher ließ gestern keinen Zweifel daran, dass es im Doppel-Etat 2013/14 weitere schmerzhafte Kürzungen geben muss, unabhängig davon, wer nach der Neuwahl 2012 regiert.

Wie hoch der Spardruck bleibt, belegen die Haushalts-Eckdaten. Im Jahr 2011 sinkt das strukturelle Defizit auf 960 Millionen, 2012 auf etwa 850 Millionen Euro. Weitere gut 400 Millionen sollen bereits eingeleitete Sparaktionen bis 2020 bringen, etwa die Streichung von mehr als 5000 Landesjobs. Unter dem Strich bleiben also mehr als 300 Millionen Euro, die das Land in den nächsten Jahren wegkürzen muss.

Ob die Rechnung aufgeht, ist offen. Schleswig-Holstein, schon jetzt mit fast 27 Milliarden Euro überschuldet, muss trotz Sparkurses 2011 gut eine Milliarde Euro neue Kredite aufnehmen, 2012 knapp eine Milliarde Euro. Steigen die Kreditzinsen, geht dem Land die Luft aus. Anders als Hamburg kann Kiel zudem nicht darauf setzen, dass die Wirtschaft boomt, die Steuereinnahmen steigen und die Sparbeschlüsse aufgehoben werden können. Schleswig-Holstein darf mit konjunkturbedingten Mehreinnahmen keine Wahlgeschenke bezahlen, sondern muss die Sondereinnahmen auf ein Extra-Konto buchen.