Das ausgeklügelte System der bis zu 800 Jahre alten Harzer Wasserwirtschaft wurde von der Unesco zum Weltkulturerbe ausgezeichnet.
Goslar/Brasilia. Wer durch den Oberharz kommt, hält es vielleicht für eine landschaftlich gelungene Laune der Natur. Tatsächlich aber sind die mehr als 100 Teiche, die zahllosen Fließgewässer, Gräben und Wassertunnel von Menschen geschaffen worden, um der Natur ein Schnippchen zu schlagen. Mit der "Oberharzer Wasserwirtschaft" wurde das Wasser gesammelt, gebändigt und als Kraft genutzt - vor allem für die Pumpen des Bergbaus in der Region. Jetzt ist diese vor 800 Jahren begonnene Form der Energiegewinnung auf der Tagung der Uno-Organisation für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation (Unesco) in Brasilia zum Weltkulturerbe erklärt worden.
Mit ihren Ingenieurleistungen stehen die Mönche und Bergleute aus dem Harz damit seit gestern in einer Reihe mit anderen Objekten des Weltkulturerbes wie der Chinesischen Mauer und den Pyramiden von Gizeh.
Dabei war es die pure Not, die dazu führte, dass binnen 800 Jahren aus kleinsten Anfängen rund um die Erz-, Blei und Silberminen des Harzes das größte System der Wasserwirtschaft weltweit entstanden ist. Erst die Dampfmaschine beendete den stetigen Ausbau der vernetzten Speicherteiche. Genannt wird die Anlage auch "Wasserregal". Das steht aber nicht für die in Stufen angelegten Teiche und Gräben. Als "Bergregal" wurde das königliche Hoheitsrecht bezeichnet, Bergbau zu betreiben. Und mit dem "Wasserregal" wurde dem Bergbau das zusätzliche Recht verliehen, Wasserquellen vor allen anderen Nutzern anzuzapfen und zu nutzen. Der Bergbau im Harz war im Mittelalter eine wichtige Einnahmequelle für die Landesherren, Silber etwa aus dem Bergwerk Rammelsberg in Goslar (bereits seit 1992 Weltkulturerbe) war in ganz Europa gefragt.
Den Grundstein für das Wasserregal legten im 12. Jahrhundert die Mönche des Zisterzienserkloster Walkenried, als ihnen ein Teil des Oberharzer Bergbaus überschrieben wurde. Daraus entstand bis zur frühen Neuzeit ein geschlossenes System mit rund 120 Teichen, 500 Kilometer Gräben, Wasserstollen und Wasserläufen. Die einzigartige Anlage bedeckt mit den heute noch intakten Teilen eine Fläche von 1010 Hektar mit 63 noch vorhandenen Teichen, 70 Kilometer Gräben und 21 Kilometer Wasserläufen. Weitere Gräben mit 240 Kilometer Länge haben sich als trockene Kulturdenkmäler erhalten. Die Wasserwirtschaft war nötig, weil es im Oberharz kaum ausgeprägte natürliche Fließgewässer gibt, die zum Antrieb der Pumpen hätten dienen können. Also wurde das Wasser gestaut und dann am Bergrücken immer neu auf Wassermühlen geleitet, die wiederum den Pumpen in den Gruben und den Hüttenwerken die nötige Kraft lieferten. Auch den Bergleuten, die im Harz in bis dahin unerreichte Tiefen von 300 Metern vorstießen, half die Wasserkraft beim mühsamen Abstieg und Aufstieg. Das System der "Fahrkunst" bestand aus riesigen Langhölzern, die in die Tiefe ragten und an denen kleine Plattformen festgemacht waren. Die Langhölzer bewegten sich auf- und abwärts, die Bergleute konnten also von Plattform zu Plattform wechseln und so wahlweise nach oben oder unten gelangen.
Zusammen mit dem Weltkulturerbe Goslar und Bergwerk Rammelsberg verfügt der Harz jetzt über eine weitere international mit der höchsten Anerkennung versehene historische Sensation. Niedersachsens Kulturministerin Johanna Wanka jubelte gestern über einen Riesenerfolg: "Die Aufnahme des größten, seit dem Mittelalter weiterentwickelten montanen Wasserwirtschaftssystem der Welt ist eine berechtigte Auszeichnung für dieses Meisterwerk menschlicher Schöpfungskraft."
Dabei geht es der Ministerin nicht nur um die Ehre, sondern auch um die erhofften konkreten Auswirkungen des Titels Weltkulturerbe auf den Tourismus: "Ich verspreche mir davon eine große Strahlkraft für den Harz." Konkret hat die Ministerin bereits solche Urlauber im Kopf, denen es nicht gefällt, im Harz stets Höchstleistungen bringen zu müssen: "Über 300 Kilometer Gräben der Wasserwirtschaft im Oberharz sind mit äußerst geringem Gefälle angelegt, hier können die Menschen ohne beschwerliches Bergsteigen wandern, an den Teichen verweilen und baden." Auch Reinhard Roseneck vom Landesamt für Denkmalpflege in Hannover, der den sechs Bände und 1500 Seiten dicken Antrag für die Unesco zusammengetragen hat, hofft nun, "dass der Harz aus seinem Dornröschenschlaf herauskommt". Die Region um Goslar siegte letztlich gegen ähnliche Systeme aus dem sächsischen Freiberg und der Slowakei, weil die Wasserwirtschaft älter und komplexer ist. Es sei, so die Unesco, "ein weltweit einzigartiges vorindustrielles Monument der Energieerzeugung". Es waren die Harzwasserwerke, die in den vergangenen Jahrzehnten weite Teile des Systems erhalten und gepflegt haben. Daran hat Kulturministerin Wanke gestern erinnert und sich bedankt. Das Unternehmen ist Betreiber der Talsperren im Harz und größter Wasserversorger in Niedersachsen mit einem 500 Kilometer langen Versorgungsnetz, das bis Bremen reicht. Für die Wasserwirtschaft wurde ein eigener Betriebshof in Clausthal-Zellerfeld eingerichtet, vergleichbar mit einer Dombauhütte, die über Jahrhunderte eine Kathedrale vor dem Verfall bewahrt.