Der preisgekrönte Ort setzt auf Solar, Windkraft und Biomasse. Sogar Essensreste aus Hamburg werden verwertet.
St. Michaelisdonn. Als der weiße Lastwagen auf den Hof rollt, deutet Broder Schütt aus dem Fenster und sagt: "Hier kommen die Reste aus Hamburg. Da ist auch was aus dem Hotel Vier Jahreszeiten dabei." Die Biogasanlage am Ortsrand von St. Michaelisdonn in Dithmarschen verarbeitet pro Jahr nicht nur etwa 25 000 Tonnen Gülle, sondern auch andere Abfälle, darunter 5000 Tonnen Speisereste. "Etwa 70 Prozent davon kommen aus Hamburg", rechnet Schütt, Geschäftsführer der Anlage, vor. "Die Hamburger sorgen dafür, dass wir hier eine warme Stube haben", scherzt der St. Michaelisdonner Bürgermeister Volker Nielsen.
Die älteste Biogasanlage Schleswig-Holsteins, seit 1996 in Betrieb, ist nur ein Puzzleteil auf dem Weg der Gemeinde, ihre Energieversorgung zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen zu beziehen.
"Für uns in der Küstenregion ist der Meeresspiegelanstieg durch den Klimawandel eine große Bedrohung. Man sieht die Abhängigkeit von Gas und Öl auch hier im Ort", sagt Nielsen. Deshalb müsse man neue Wege gehen. Das Thema erneuerbare Energie ist für seine Gemeinde nicht mehr neu: "Wir hatten 1994 den ersten Windpark hier und wir haben ein großes Photovoltaikfeld." Doch dem ehrenamtlichen CDU-Bürgermeister reichte das nicht.
Schon seit 2008 gibt es im Rathaus ein eigenes Energiebüro. "Wir haben uns dann letztes Jahr beim Wettbewerb der Bundesregierung beworben, eine von 25 BioEnergieRegionen zu werden", erzählt Nielsen. 280 deutsche Regionen hatten sich beteiligt, 50 kamen in die zweite Runde, die Region Burg-St. Michaelisdonn wurde am Ende als eine von 25 BioEnergieRegionen ausgewählt. Nielsen und seine Mitstreiter können nun 400 000 Euro an Fördergeldern bekommen. "Wir haben ein Regionalentwicklungskonzept erarbeitet, wie wir uns die nächsten 25 Jahre vorstellen", sagt Nielsen. Es sieht einen Mix aus Wind- und Solarenergie und Biomasse vor.
"Das entspricht dem Lebensgefühl der Dithmarscher - diese Unabhängigkeit, die Energie selbst zu erzeugen", erklärt Landrat Jörn Klimant. In Dithmarschen habe man dafür die besten Voraussetzungen. Die Bedingungen für die Windenergie seien hervorragend, "viel Wind und flaches Land", ebenso die für Photovoltaik, "ganz ähnlich wie in München", dazu viel Landwirtschaft "und damit Biomasse". Dithmarschen als "Wiege der Windkraft" habe bereits 760 Windkraftanlagen mit einer Leistung von insgesamt 540 Megawatt.
Der St. Michaelisdonner Bürgermeister hat schon vieles in die Wege geleitet, um die ehrgeizigen Pläne umzusetzen. Gerade wurde ein Ingenieurbüro beauftragt, ein Nahwärmenetz für St. Michaelisdonn zu planen, um die Abwärme der Biogasanlage für das Beheizen von Sporthallen, Feuerwehrzentrale und Freibad zu nutzen. "Mit dem Konzept gehen wir dann nach Kiel und wollen Leuchtturmprojekt werden. Ohne Subventionen können wir das 1,5 Millionen Euro teure Wärmenetz nicht bauen", sagt Nielsen.
Auch die Gemeindewerke St. Michel, Stadtwerke im Kleinformat, gibt es schon. Geschäftsführer Andreas de Vries, der auch das kommunale Energiebüro leitet, will künftig mit Strom, Nahwärme und Biokraftstoffen handeln. Künftig, weil bislang alles, was an regenerativer Energie erzeugt wird, in das Netz eingespeist wird. "Wir wollen als Gemeinde auch eine eigene Windenergieanlage bauen", kündigt Nielsen an. Das passt zu den Planungen des Kreises: "Wir haben zusätzliche 5200 Hektar Windeignungsgebiete für unseren Kreis beantragt", erzählt Landrat Klimant. Derzeit dürfen auf 2100 Hektar Fläche Windanlagen aufgebaut werden. Schon jetzt ist Dithmarschen Energieexporteur, verbraucht also weniger Energie, als im Kreis erzeugt wird, "und das wird auf lange Sicht so bleiben", meint Klimant.
Bürgermeister Nielsen wäre das gerade recht. Deshalb passt es ihm auch gut, dass das Unternehmen TimberTower, das Holztürme für Windkraftanlagen etablieren will, ein Testgelände suchte und in St. Michaelisdonn fand. "In Hannover testen die mit 25 Metern, hier sollen Türme gebaut werden zwischen 100 und 135 Metern Höhe. Das passt zu Dithmarschen. Wir sind die Pioniere der Windkraft", sagt Nielsen stolz. Und Holz statt Stahl passe perfekt zum Konzept für die Region.
Ein Pionier ist auch Ludolf Ibs. Der Maschinenbauingenieur, der selbst ein Unternehmen für Haustechnik, aber auch für Windparkplanung hat, hat eine kleine Windkraftanlage mit einer Leistung von fünf Kilowatt pro Stunde entwickelt, die WESpe, die er seit drei Jahren auf seinem Grundstück testet. Für den Vorgarten sei sie nicht geeignet, bekennt Ibs, "50 Meter Abstand zum Wohnhaus empfehle ich schon". Er hat neben der schwarz-gelb gestreiften kleinen Anlage eine Hütte errichtet, in der die Messgeräte vor Wind und Wetter geschützt sind. "Ich mache mit der WESpe Warmwasser, verbrauche einen Teil des Stroms selbst und speise auch ein", sagt der Diplomingenieur fröhlich. Bürgermeister Nielsen ist von der 18 000 Euro teuren WESpe so überzeugt, dass er drei davon auf dem kommunalen Kläranlagengelände aufbauen lässt. Auch eine weitere Biogasanlage würde er gern errichten und dazu die 13 Landwirte aus St. Michaelisdonn ins Boot holen. Mit der Nahrungsmittelproduktion allein könnten diese heutzutage ihre Betriebe nicht mehr wirtschaftlich führen, sagt Nielsen: "Aber sie haben die Flächen für die Windkraft, für Photovoltaik und für Biomasse." Alleine die Kohlblätter, die jährlich hier abgeschnitten werden, gäben reichlich Biomasse her.
Auch Sonne gibt es üppig. "Wir rechnen hier mit 870 bis 900 Stunden pro Jahr", sagt Mario Reese von der Solar Direct GmbH, die das riesige Solarfeld in der Gemeinde betreibt, das im November 2009 ans Netz ging. 13 638 Photovoltaikmodule sind hier in langen Reihen aufgebaut. Minimale Leistung: "2,6 Megawatt pro Jahr", so Reese stolz. Damit könnten knapp 1000 der 1660 St. Michaelisdonner Haushalte versorgt werden. Darüber hinaus prangen schon an vielen Wohnhäusern und Scheunen große Photovoltaikplatten.
Jan Peters, Inhaber des Ringhotels Landhaus Gardels, ist schon jetzt so gut wie autark. Er hat im Hotelkeller fünf Miniblockheizkraftwerke eingebaut, mit denen er den Großteil des Stroms, den das Hotel verbraucht, selbst erzeugen kann. "Sobald Biogasversorgung möglich ist, stellen wir von Erdgas auf Biogas um", hat er sich vorgenommen.
Für Broder Schütt von der Biogasanlage ist die Vision, die St. Michaelisdonn verfolgt, die einzig richtige: "Es ist eine Frage der Zukunft, wie künftig Energie erzeugt wird."