In allen Kirchen des Bistums Hildesheim wurde an diesem Sonntag eine Erklärung von Bischof Norbert Trelle verlesen.
Hannover. Es ist totenstill in der Basilika St. Clemens in Hannover, als Propst Martin Tenge mit einer knappen Geste einen für die katholische Kirche entscheidenden Schritt tut: „Mea Culpa“, sagt der Geistliche im Sonntagsgottesdienst und schlägt sich mit der Faust auf die Brust. Nach dem Skandal um Missbrauch durch Jesuiten-Pater, die sich auch in Niedersachsen an Kindern vergangen haben, sieht der Regionaldechant die ganze Kirche in der Verantwortung. „Die ganze Institution hat Schuld, weil sie für eine Mentalität gesorgt hat, 'bitte nicht darüber reden'.“
Mit diesem langen Schweigen ist für Tenge in diesem Gottesdienst Schluss: Er kenne viele Priester, die Täter seien, und er kenne auch viele Opfer, sagt er in der vollbesetzten Kirche. „Es gilt sich zutiefst bei den Opfern zu entschuldigen.“ In allen Kirchen im Bistum Hildesheim wird am Sonntag ein Brief verlesen, in dem Bischof Norbert Trelle „mit Scham und Empörung“ auf die Missbrauchsfälle reagiert und mögliche weitere Opfer aufruft, sich zu melden. Das Bistum werde alles daran setzen, für Aufklärung zu sorgen. Zu Recht könne man von der Kirche erwarten, dass sie alles unternehme, um solche Taten zu verhindern.
Konzentriert und teils mit starrem Gesicht folgen die Gottesdienstbesucher in Hannover der persönlichen Erklärung Tenges, die weit über die Worte des Bischofs hinausgehen: „Ich mache mir keine Vorwürfe, Kindesmissbrauch begangen zu haben.“ Von etlichen Amtskollegen aber zeichnet er ein erschütterndes Bild. „Teilweise kenne ich die Kombination des Priesters als Täter und Opfer“, meint er. „Wir sind in der Situation, in der wir uns sehr schämen müssen als Kirche.“
Eine kleine Kinderschar wird von mehreren Frauen zu Beginn des Gottesdienstes zur „Kinderkirche“ ins Untergeschoss der Basilika gebracht, dann wird die Erstkommunion einer jungen Frau vorbereitet. Per E-Mail hatte Tenge sie noch über den unerwarteten Schwerpunkt des Gottesdienstes informiert, für sie aber ist dies kein Problem. Ihre große Kommunionskerze brennt auf dem Altar, während der Propst mit sehr persönlichen Worten zur Missbrauchsproblematik redet.
„Was ist mit den Tätern“, fragt er und räumt ein, dass diese Frage heikel ist. „Eigentlich müsste man sagen: „Diese Männer gehören ein Leben lang weggesperrt„“, wenn man dem Druck der öffentlichen Meinung folge. Er halte dies aber für falsch. „Mancher hat sich bekehrt und hat eingesehen, es war nicht nur schlecht, was er getan hat, sondern es war desaströs.“ Wenn Justiz und Kirche diese Männer bestraft hätten und Therapien und Gutachten im Anschluss positiv seien, müsse es die Möglichkeit geben, die Priester fernab von Kindern und Jugendlichen in der Kirche erneut einzusetzen.
„Missbrauch findet an so vielen Stellen statt und wird an so vielen Stellen nicht nach draußen gebracht“, gibt der Propst zum Ende zu bedenken. Überall in der Gesellschaft, nicht nur in der Kirche, müsse darauf mehr geachtet werden. Und auch der Bischof bittet die Menschen in seinem Brief darum, vom Einzelfall nicht auf einen ganzen Berufsstand zu schließen. Nach Tenges Worten bleibt es eine Weile vollkommen still in der Kirche, dann ist aus dem Untergeschoss das Singen der Kinder zu hören. Bald darauf kommen sie mit einem Netz voller gebastelter bunter Fische vor den Altar.