Im maroden Atomendlager Asse II bei Wolfenbüttel sind möglicherweise noch sehr viel mehr gefährlich strahlende Abfälle gelagert worden als bislang bekannt.
Hannover. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace legte am Freitag in Hannover umfangreiche Berechnungen für das Wasserstoff-Isotop Tritium vor. Danach lassen die langjährigen Messungen der Abluft des ehemaligen Salzbergwerks nur den Schluss zu, dass die dort gelagerte Strahlungsdosis an Tritium vier- bis fünfmal größer ist, als es die Betreiber dokumentiert haben.
Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) bestätigte auf Anfrage, dass es ebenfalls auf mögliche Ungereimtheiten in den Messungen gestoßen ist.
Tritium ist ein Wasserstoff-Isotop und schwach radioaktiv - es wird unter anderem als Leuchtstoff verwendet. Tritium hat eine Halbwertszeit von etwas mehr als zwölf Jahren, ist also langfristig keine besonders gefährliche Strahlenquelle. Außerdem sind nach Einschätzung sogar des Greenpeace-Experten und Physikers Dr. Helmut Hirsch die Grenzwerte in der Abluft aus dem Endlager nicht überschritten worden. Aber allein die Tatsache, dass die Dokumentation des früheren Betreibers, des Münchner Helmholtz-Zentrums, grobe Falschangaben enthalten könnte, ist aus der Sicht der Umweltschützer "skandalös". Damit nämlich stelle sich die Frage, ob nicht auch die Mengenangaben für viel gefährlichere Stoffe wie Plutonium und Cäsium falsch seien.
In der Asse sind zwischen 1967 und 1978 insgesamt 126 000 Fässer schwach- und mittelradioaktiver Müll eingelagert worden, aber eben auch hochradioaktives Plutonium - nach Ministeriumsangaben "mehrere Kilogramm". Genaueres ist offenbar nicht bekannt.
Der Fraktionschef der Grünen im niedersächsischen Landtag, Stefan Wenzel, hat deshalb noch am Freitag die Braunschweiger Staatsanwaltschaft aufgefordert, die Akten der Anlieferer aus der Zeit zwischen 1967 und 1978 umgehend beschlagnahmen zu lassen. "Das betrifft nicht nur die großen Atomstromkonzerne, sondern auch Unterlagen des Kernforschungszentrums Karlsruhe und der Bundeswehr", sagte Wenzel.
Dass die Bundeswehr verseuchte Abfälle in die Asse bei Wolfenbüttel geliefert hat, war erst vor wenigen Wochen bekannt geworden. Bestätigt ist inzwischen auch, dass außerdem Tierkadaver aus atomaren Versuchsanlagen sowie hochgiftige Pflanzenschutzmittel dort entsorgt worden sind.
Dem wird das Bundesamt für Strahlenschutz nun auf den Grund gehen müssen, denn von der Zusammensetzung der Abfälle hängt ab, ob das einsturzgefährdete Salzbergwerk überhaupt geeignet ist, die Abfälle über Hunderttausende von Jahren sicher von der Außenwelt abzuschließen.