Der Irrgänger ist vermutlich auf dem Weg vom Äquator zurück in den Norden zu früh “falsch abgebogen“.

Stralsund. Mitten in der Urlaubszeit meldet die Ostsee eine Sensation: Strandurlauber haben die Chance, einen zwölf Meter langen Buckelwal zu sehen, der überraschend bei Kap Arkona vor Rügen aufgetaucht ist. Der Direktor des Deutschen Meeresmuseums in Stralsund Harald Benke hat das Tier nicht nur sicher identifiziert, sondern erklärt auch, dass Buckelwale zwar selten, aber immer wieder einmal vor mitteleuropäischen Küsten und auch in der Ostsee auftauchen. Die Stralsunder Walforscherin Anja Gallus vermutet, dass das fast ausgewachsene Tier auf dem Rückweg von den Gewässern am Äquator, wo die Wale jedes Jahr kalben, zu den Fressgebieten in der Arktis gewesen sei. Auf der Reise ist der Buckelwal vermutlich "falsch abgebogen" und habe sich in die Ostsee verirrt.

1978 beispielsweise hielt schon einmal ein zehn Meter langes Buckelwalmännchen namens "Ossi" die Mitarbeiter des Stralsunder Meeresmuseums zwischen dem 13. August und dem 8. November auf Trab, im Jahr 2006 tauchte ein weiteres Tier vor der polnischen Küste auf. Und 2007 schwamm ein anderer Buckelwal im Wattenmeer vor der holländischen Insel Texel. Meldungen über diese Art scheinen sich zu häufen.

Dabei gelten die bis zu 19 Meter langen und 45 Tonnen schweren Tiere als Wanderer, die sich normalerweise zuverlässig an eine bestimmte Wanderroute halten: In den Tropen bringen die Weibchen im Winter in flachen Küstengewässern ihre Jungen im 24 bis 28 Grad Celsius warmen Wasser zur Welt. Im Frühjahr ziehen die Tiere dann in die Gewässer in der Nähe der Pole. Dort gibt es große Schwärme kleiner Fische und Quallen, die sie mit einem raffinierten "Sieb" im Maul aus dem Wasser holen: Vom Oberkiefer der Tiere hängen an Stelle von Zähnen fein gefiederte Hornplatten herab. Schwimmt der Buckelwal mit offenem Maul durch einen Fischschwarm, bleibt seine Beute zwischen diesen "Barten" hängen, und das Tier muss die Mahlzeit nur noch hinunterschlucken. Im hohen Norden landen so reichlich Fische im Buckelwal-Magen, in den Gewässern der Antarktis geraten meist "Krill" genannte kleine Krebse zwischen die Barten.

Genau diese Barten aber wurden den Buckelwalen früher zum Verhängnis. Weil sich aus ihnen hervorragend die Stangen für Regenschirme oder ein Korsett für die modebewusste Frau fertigen ließen, wurden Buckelwale intensiv gejagt. Heiß begehrt war auch die Fettschicht, die Buckelwale vor der Kälte der polaren Gewässer isoliert. Daraus wurde Waltran gewonnen, der wiederum als Öl für Lampen, als Rohstoff für Kerzen und als Schmiermittel von Handwerkern verwendet wurde. Weil Buckelwale oft auch in flachen Küstengewässern Fischschwärmen nachstellen, dabei durch akrobatische Luftsprünge auffallen, ansonsten aber nur langsam schwimmen, wurden sie vor allem dort leichte Beute der frühen Walfänger.

Die Nachfrage nach Lampenöl, Schmiermittel und Korsettstangen aber war für die Wale verheerend. Die weltweiten Bestände gingen bedrohlich zurück. Seit 1966 steht der Buckelwal unter weltweitem Artenschutz.

Da sich die Tiere anscheinend zuverlässig an ihre Wanderrouten zwischen Sommer- und Winterquartier halten, kommen sie in eine Region so schnell nicht mehr zurück, in der sie einmal ausgerottet wurden.

Manchmal aber könnte ein Buckelwal neugierig werden oder sich einfach verirren und so durch die schmalen Meeresstraßen zum Beispiel in die Ostsee gelangen. Verhungern dürfte der jetzt in der Ostsee schwimmende Buckelwal so schnell nicht, vermutet der Walexperte und Meeresbiologe Sven Koschinski in Kiel: "Buckelwale kommen im flachen Wasser gut zurecht, und kleine Fische finden sie gerade vor Rügen ebenfalls reichlich."

Langfristig würde er in der Ostsee wohl nicht überleben können, meint Walforscherin Gallus.