Sie ist streitbar und umstritten, gerade nach ihrer Scheidung. Als einer Frau Gottes gilt ihre Sorge der Kirche. Ein Gespräch mit der Bischöfin.

Hannover. Sie hat der evangelischen Kirche in Deutschland ein Gesicht gegeben, spricht gesellschaftliche Missstände klar und mutig an: Die Hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann (49) ist eine Frau Gottes - und der Welt sehr zugewandt. Ihre streitbaren Thesen zu Glauben und Gerechtigkeit kommen an. Seit ihrer Amtseinführung 1999 ist sie selbst zur "öffentlichen Frau" geworden, eine Art Trendsetterin ihrer Kirche.

Nachdem sie im vergangenen Jahr an Brustkrebs erkrankt war und sich einer Operation unterziehen musste, hat ihr offener Umgang mit der Krankheit vielen Frauen Mut gemacht. "Der liebe Gott testet manchmal sein Bodenpersonal", sagte Käßmann damals mit ihrer ansteckend lebensbejahenden Art. Die Nachricht ihrer Scheidung von ihrem Mann Eckhard nach 26 Jahren Ehe nur wenige Monate später sorgte für Aufsehen - und unterschiedliche Meinungen bis hin zu Rücktrittsforderungen. Sie selbst hatte in einem Brief an die Pastoren ihrer Landeskirche geschrieben, dass sie "die Frage eines möglichen Rücktritts vorher und besonders in diesen Tagen ernsthaft erwogen" habe.

Margot Käßmann entschied sich fürs Bleiben. Ein wenig sieht man ihr an, wie schwer die vergangenen fünf Monate waren. Ihr Vertrauen auf Gott habe ihr geholfen, sagt sie. Im Gespräch in ihrer Bischofskanzlei denkt sie länger nach, bevor sie etwas sagt, ringt mit Formulierungen, will ihre Privatheit und die ihrer Familie schützen. Dabei ist sie genauso ehrlich und konsequent, wie wenn es um die Kirche und ihre zukünftigen Herausforderungen geht.

ABENDBLATT: Frau Bischöfin, Sie sind die wohl prominenteste Protestantin Deutschlands. Ihre Meinung ist gefragt, Sie sitzen oft in Talkshows. Braucht die Kirche Stars, um wahrgenommen zu werden?

MARGOT KÄSSMANN: Ich bin kein Star, sondern Bischöfin, zu deren Dienstauftrag auch Öffentlichkeitsarbeit gehört. Ich reiße mich nicht darum, ständig in der Öffentlichkeit zu sein. Meine Kanzlei sagt wesentlich mehr Anfragen ab, als Zusagen erteilt werden. Aber wenn ich in den Medien christliche Inhalte oder kirchliche Anliegen unterbringen kann, ist es sinnvoll, das zu tun.

ABENDBLATT: Und was ist, wenn plötzlich nicht mehr nur die Theologin, sondern die private Margot Käßmann zur "öffentlichen Frau" wird: eine Bischöfin, die sich scheiden lässt?

KÄSSMANN: Mir ist die öffentliche Präsenz, die ich ja als Chance sehe, in den letzten Monaten durchaus zur Belastung geworden. Ich war plötzlich eine Projektionsfläche. Unsere Gesellschaft ist sehr niedrigschwellig geworden. Ich bin ja auch nur ein Mensch, mein Privatleben ist etwas Schützenswertes. Deshalb habe ich mich erst mal zurückgezogen, drei Monate keine Interviews gegeben und werde mich zu meiner Scheidung auch nicht weiter äußern.

ABENDBLATT: Natürlich wird in solchen Fällen auch viel geredet. Sprächen Sie inzwischen über die Gründe Ihrer Scheidung, dann könnten Sie die Spekulationen doch verhindern?

KÄSSMANN: Nein, die Öffentlichkeit ist nicht der Ort, so etwas auszutragen. Das ist eine Frage des Respekts und der Würde.

ABENDBLATT: Sie sind jetzt seit drei Monaten eine "geschiedene Frau". Hat das etwas an Ihrem Selbstbewusstsein oder Ihrer Amtsführung geändert?

KÄSSMANN: Für mich bleibt der christliche Glaube der zentrale Halt in meinem Leben und eine Seelsorgerin reift auch durch eigene Erfahrung.

ABENDBLATT: Und wie ist es ganz konkret? Haben Sie seitdem Menschen verheiratet?

KÄSSMANN: Ja, und es war eine sehr schöne, fröhliche Trauung mit einem sehr glücklichen Brautpaar. Ich denke weiterhin, wer sich das Eheversprechen gibt, sollte es mit dem Vorsatz tun, "bis das der Tod euch scheidet". Aber ich weiß auch, Menschen scheitern.

ABENDBLATT: Verändert der "Fall Käßmann" etwas in der Kirche?

KÄSSMANN: Es gibt in der evangelischen Kirche Scheidung und Wieder-Verheiratungen, auch bei Pastorinnen und Pastoren. An meinem Fall hat sich gezeigt, was unsere Regelungen sind.

ABENDBLATT: Es sind Themen wie dieses, die für Schlagzeilen sorgen. Dagegen ist es um die vor zwei Jahren ausgerufene "neue Religiosität" eher still geworden.

KÄSSMANN: Es sind viele Menschen auf der Suche nach Orientierung. Das erlebe ich immer wieder. Die große Herausforderung für meine Kirche ist, ob wir sie beheimaten können. Das ist die entscheidende Frage für unsere Gemeinden, wie sie das angesichts von Sparzwängen und Strukturkrisen leisten können.

ABENDBLATT: Es wirkt manchmal so, als bliebe die Kirche zwischen Kampagnen - wie der zum Erhalt des freien Sonntags - und Sparmaßnahmen stecken. Wo ist die Vision?

KÄSSMANN: Es gibt mit dem EKD-Reformkonzept "Kirche der Freiheit" einen großen Rahmen für die notwendigen und auch positiven Veränderungen, das ist durchaus eine Vision. Und es gibt viele glaubwürdige Projekte vor Ort. Zum Beispiel in Bremerhaven, wo unsere Kirche Beerdigungen für Menschen ohne Angehörige ausrichtet. Das zeigt, wir haben als Kirche die Chance, Gemeinschaft zu schaffen. Da sind wir gefordert: Natürlich geht es auch um Qualität. Wir müssen gut sein, denn wir wollen ja überzeugen.

ABENDBLATT: Wie ist es bei aktuellen Themen wie soziale Gerechtigkeit? Kann die Kirche da mehr als Mahnerin sein?

KÄSSMANN: Sich einmischen, das muss sein. Ich denke etwa an Initiativen in Kirchenkreisen meiner Landeskirche, durch die Eltern mit Hilfen für Schulmittel unterstützt werden. Sie werden mit Anträgen geradezu überrannt. Es gibt immer mehr Eltern, die nicht wissen, wie sie ihren Kindern Bücher, Hefte oder Taschenrechner bezahlen sollen. Das fängt schon bei der Schultüte an.

ABENDBLATT: Zum Schluss noch mal ein Blick "nach drüben". Offenbar will die katholische Kirche sich mit fünf Millionen bei einem italienischen Profi-Fußballverein einkaufen - als Gegenleistung für "moralisch einwandfreien Fußball". Haben Sie schon bei Hannover 96 angeklopft?

KÄSSMANN (lacht): Nein, bestimmt nicht. Aber ich will immer noch eine Kapelle im Station bauen.

Am Dienstag, 9. Oktober, ist Bischöfin Margot Käßmann in Hamburg. Im KörberForum (Kehrwieder 12) spricht sie mit der Hamburger NDR-Landesfunkhaus-Direktorin Maria von Welser. Die Veranstaltung "Klug und mutig!" beginnt um 19 Uhr. Anmeldung: www.koerberforum.de