Iraker in Celle vor Gericht. Er soll im Internet aktiv um neue Unterstützer für al- Qaida geworben haben. Schwierige Beweislage für die Ankläger.

Celle. Aus Sicht der Bundesanwaltschaft kann auch jedes Wohnzimmer irgendwo in Deutschland zum Nebenkriegsschauplatz werden im Kampf des Terrornetzwerks al-Qaida. Weil der 36-jährige Iraker Ibrahim R. aus Georgsmarienhütte mehr als ein Jahr lang immer wieder und wieder die Hasspredigten etwa von Osama Bin Laden im Internet weiter verbreitete, wird ihm seit gestern in Celle vor der Staatsschutzkammer am Oberlandesgericht der Prozess gemacht. Es geht, sagt der Ankläger Peter Ernst, Oberstaatsanwalt am Bundsgerichtshof, um die Terrorwaffe Internet.

Ernst räumt ein, dass es der erste Prozess in Deutschland ist, bei dem es um einen privaten Dschihad geht, geführt vom Computer. Entsprechend betritt die Anklage im Kampf gegen den ungenierten Aufruf zum Heiligen Krieg Neuland: Schließlich sind die Aufrufe zur Gewalt, zum Hass gegen fremde Religionen nicht hierzulande verfasst worden und im weltweiten Internet jederzeit abrufbar. Wer sich in Deutschland so etwas auf den heimischen Rechner lädt, macht sich nicht strafbar. Aber wer wie Ibrahim R. gezielt, immer und immer wieder Links legt zu den Ton- und Filmauftritten, der werbe damit aktiv und gezielt um neue Unterstützer für das Terrornetzwerk. Dass der Angeklagte dabei mindestens neun verschiedene Pseudonyme verwendete - im Internet häufig Nicknames genannt -, sieht die Anklage als Bestätigung. Ibrahim R. habe versucht, vor allem junge Männer dazu zu bringen, sich al-Qaida anzuschließen.

Mehr als ein Jahr lang hat die Justiz alle Internetaktivitäten des Angeklagten mitgeschnitten, alle Telefonanrufe und auch die Bankkonten beobachtet. Teilweise wurde er beschattet. Selbst sein Verteidiger machte am ersten Prozesstag nicht den Versuch, die Aktivitäten seines Mandanten im Internet zu leugnen. Auf die Sekunde genau referierte die Anklage in Celle, wann der arbeitslose Asylbewerber, verheiratet und Vater von inzwischen vier Kindern, sich fast täglich einloggte im World Wide Web, das Herunterladen von Videos und Redensammlungen anbot. Im einschlägig bekannten Chatroom für Islamisten tummelten sich nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft häufig mehrere Hundert Interessenten.

Anders aber als in früheren Ankündigungen fand sich gestern in der verlesenen Anklageschrift kein Satz dazu, ob und mit welchem Wortlaut der Angeklagte befürwortende Stellungnahmen abgegeben hat als Begleittext zu den Videos und anderen Angeboten.

Genau darauf reagierte die Verteidigung. Rechtsanwalt Klaus Rüther aus Osnabrück hielt Anklägern und Gericht vor, trotz einjähriger Internet- und Telefonmitschnitte bei dem Angeklagten in Georgsmarienhütte, trotz Beschattung und Kontenkontrolle könne die Staatsanwaltschaft keine Geldzahlungen an islamistische Vereinigungen beweisen, keine Besuche in radikalen Moscheen und keine eigenen Aufrufe zum Terror.

Jeder normale Bürger, so argumentiert Rüther, könne solche Videos herunterladen und auch weitergeben, ohne sich strafbar zu machen. Wenn aber jemand bestraft werde, nur weil er das Gleiche tue und dabei eine islamistische Grundhaltung habe, sei dies ein Stück Gesinnungsstrafrecht.

Das Mammutverfahren unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen ist auf vorerst 26 Tage terminiert. Prozessbeobachter glauben aber, dass das nicht annähernd reichen wird.