Wissower Klinken: Touristenattraktion fiel unter Druck des Eises krachend in die Ostsee.

Saßnitz. An der Rügener Kreideküste ist die Touristenattraktion Wissower Klinken abgestürzt. Die beiden 20 Meter hohen Hauptzinnen der Kreideformation gaben dem gewaltigen Druck eiszeitlicher Schichten nach und stürzten in die Tiefe. 50 000 Kubikmeter Kreide wurden in die Ostsee gerissen. Wo einst die Zinnen markant Richtung Himmel strebten, sind jetzt nur noch zwei verkümmerte Stümpfe zu sehen. Die abgebrochenen Reste wird das Wasser in wenigen Tagen weggespült haben.

Erst vor wenigen Tagen waren an derselben Stelle 1000 Kubikmeter Kreide in die Tiefe gestürzt. Senkrechte Risse, die auf extreme Kräfte im Inneren schließen ließen, bereiteten Kennern der Kreideküste seit zwei Jahren Sorgen. "Erst hat der Putz gebröckelt, jetzt ist die Wand eingestürzt", sagt Manfred Kutscher vom Nationalparkamt Jasmund.

Auf der Insel herrscht Fassungslosigkeit. In fast jeder Tourismusbroschüre wird mit den Klinken für die Schönheit der größten deutschen Insel geworben. Allein die bizarre, 13 Kilometer lange Kreide-Steilküste wird jährlich von bis zu 1,5 Millionen Touristen besucht. "Der Absturz ist katastrophal", sagt WWF-Projektleiterin Cathrin Münster. "Er zeigt uns, wie stark die Natur ist und wie überraschend sie reagieren kann."

Die Kreide entstand vor 69 Millionen Jahren aus Kalkschalen mikroskopisch kleiner Wasseralgen. Mit der letzten Eiszeit, die vor 12 000 Jahren endete, wurde die Kreideformation aus der Erdtiefe gehoben und gefaltet. Seitdem sind die Kreidefelsen der Erosion ausgesetzt. Im Winter und Frühjahr kommt es immer wieder zu Abbrüchen. Dann gefriert das Schnee- und Regenwasser, und Eiskristalle drücken auf die Kreide. Bei Tauwetter stürzt die gefrostete Kreide in die Tiefe.

Anders als viele glauben, sind die Wissower Klinken Kutscher zufolge nicht das Motiv für das berühmte Gemälde "Kreidefelsen auf Rügen" von Caspar David Friedrich. Das Friedrich-Motiv existiere noch: wenige Kilometer nördlich von der Abbruchstelle, an der "Victoria-Sicht".