Vor Gericht traf das Vergewaltigungsopfer auf den Sex-Täter. “Eigentlich eine jämmerliche Gestalt.“

Itzehoe. Als die dunkelbraune Holztür sich öffnet, zuckt Silvia* zusammen. Kurz, aber heftig. Unübersehbar steigt Hitze in ihrem Kopf auf. Doch sie schafft es. Die 21-Jährige schafft es, ihre Tränen zurückzuhalten. Ihre Hand greift für einen Moment nach der ihres Anwalts. Sie beißt sich auf die Lippen und rutscht auf ihrem rot gepolsterten Stuhl hin und her. Dann, nur Sekunden später, atmet sie tief durch. Ihr schmächtiger Körper entspannt sich, ihre Gesichtszüge auch. Sie hat ihn hinter sich - den Moment, vor dem sie monatelang Angst hatte, auf den sie aber auch monatelang gewartet hat. Den Moment, in dem ihr Peiniger Wilfried Sabasch (48) den Schwurgerichtssaal des Landgerichts Itzehoe betritt.

Silvia hat Stärke bewiesen. So, wie sie es sich vorgenommen hat. Sie will sich diesem Prozess stellen, in dem sie Nebenklägerin ist. Sie will dem Mann, der sie am 25. Juli 2002 in Uetersen (Kreis Pinneberg) verschleppte und brutal vergewaltigte, signalisieren: Hier bin ich - du hast es nicht geschafft, meine Persönlichkeit auf Dauer zu brechen.

Bereits eine Dreiviertelstunde vor Prozessbeginn kommt Silvia ins Gerichtsgebäude, Hand in Hand mit Angelika Meusel von der Opferschutzorganisation "Weißer Ring". In einem Nebenzimmer abseits des Sitzungssaales wartet sie mit ihrer Familie. Wartet darauf, dass es losgeht.

Selbstbewusst betritt sie dann den Saal 28 im ersten Stock, vorbei an den zahlreichen Kameras. Ein scheues Lächeln, sogar ein kleines Winken in Richtung der Familie, die auf den Besucherbänken Platz genommen hat. Silvias Platz als Nebenklägerin ist rechts von dem Podest, auf dem die II. Strafkammer thront. Ihr genau gegenüber kauert zusammengesunken der Angeklagte: langes Haar, Vollbart, Goldrandbrille. Er schaut nicht auf. "Eigentlich eine jämmerliche Gestalt", sagt Silvia später.

Seinen dunkelblauen Parka legt Wilfried Sabasch gar nicht erst ab. Der erste Verhandlungstag dauert kaum mehr als fünf Minuten. Fünf Minuten, in denen der Vorsitzende Richter Eberhard Hülsing die Personalien des Angeklagten aufnimmt und die Staatsanwältin die Anklageschrift verliest: zwei DIN-A4-Seiten, auf denen, so schreibt die Prozessordnung es vor, der Tatvorwurf formuliert wird. "Jemand anderen nötigen, eine dem Beischlaf ähnliche Handlung, die mit dem Eindringen in den Körper verbunden ist, an sich zu dulden", heißt es da abstrakt.

Was Wilfried Sabasch mit Silvia getan haben soll, schildert die Anklage in teils entwürdigenden und erniedrigenden Details: Eine Pistole hat er ihr an den Kopf gehalten und in den Mund gesteckt, als sie schrie. Er hat sie in ein Waldstück verschleppt, mit Klebeband und Handschellen gefesselt. Ausziehen musste sie sich, musste es über sich ergehen lassen, dass er sich mehrfach auf abscheuliche Art und Weise an ihr verging. Anschließend, so die Anklage, zwang er die junge Frau, mit ihm zu einem Geldautomaten zu fahren und 400 Euro von ihrem Konto abzuheben. Einen besonders schweren Fall der Vergewaltigung und räuberische Erpressung nennen das Juristen.

Für Silvia und ihre Angehörigen geht es in dem Prozess, für dessen zweiten Verhandlungstag in der kommenden Woche eine Erklärung von Sabasch angekündigt ist, um mehr als die Aburteilung einer Straftat. Sie möchten erreichen, dass der Gesetzgeber tätig wird. Dass Vorschriften erlassen werden, die dafür sorgen, dass Ähnliches niemand anderem widerfahren muss.

"Ihr Schicksal soll über den Tag hinausweisen", sagt Silvias Rechtsanwalt Torben Schneider - und meint damit die Tatsache, dass der Angeklagte nach mehr als 30 Jahren in der Psychiatrie trotz heftiger Bedenken der behandelnden Ärzte in die Freiheit entlassen wurde. Ohne Auflagen, ohne Betreuung. Und dass er kurz darauf rückfällig wurde, wieder eine Frau anfiel. Das - da ist Silvia sich sicher - war vermeidbar.