Drei Knochensplitter aus einer Kiesgrube lieferten Forschern den Beweis.

Hannover/Sarstedt. Es war im November 1997, als der Hobby-Archäologe Karl-Werner Frangenberg mal wieder in einer Kiesgrube im Leinetal bei Sarstedt (Landkreis Hildesheim) herumstocherte - und fündig wurde: Er entdeckte ein Stück eines menschlichen Knochens. Zwei Jahre später fand er in derselben Gegend zwei weitere Fragmente menschlicher Schädel. Mittlerweile steht fest: Die Knochen sind 35 000 bis 130 000 Jahre alt - und stammen von Neandertalern. Damit ist Sarstedt bei Hannover der nördlichste Punkt in Europa, an dem sterbliche Überreste dieser vor 30 000 Jahren ausgestorbenen Entwicklungslinie des Menschen entdeckt wurden. "Zuvor wurden in der Gegend nur Werkzeugreste gefunden", sagt Stephan Veil, Vorsitzender des Niedersächsischen Landesvereins für Urgeschichte. Skelettreste dagegen wurden erst an sechs Orten in ganz Deutschland entdeckt. Auch deshalb haben die Funde aus der Sarstedter Kiesgrube in der Fachwelt Aufsehen erregt. Gestern präsentierte der renommierte Neandertaler-Experte Alfred Czarnetzki (Uni Tübingen) die eher unscheinbaren Knochenreste in Hannover erstmals der Öffentlichkeit. Allein durch die äußere Form hatte der Wissenschaftler nachgewiesen, dass sie einst zum Schädel von Neandertalern gehörten. Den letzten Beweis lieferten die Blutbahnen durch einen der Knochen: Anders als beim modernen Menschen verlaufen die Arterien von hinten nach vorne - typisch Neandertaler. Bei einem anderen Fundstück verrät eine deutliche Krümmung den charakteristischen Nackenwulst des grobschlächtig anmutenden Altmenschen. Das dritte Schädelstück, Teil eines Schläfenbeins, ordnet Czarnetzki einem zwei bis vier Jahre alten Mädchen zu. Während die beiden anderen Stücke mit Sicherheit von Neandertalern stammen, könnte dieses Fossil sogar noch älter sein. Veil: "Es stammt eventuell vom Homo erectus" - dem gemeinsamen Vorfahren von Homo sapiens und Homo neanderthalensis. Die Sarstedter Funde belegen eindeutig, dass Neandertaler einst im Leinetal lebten und jagten. Hielt man sie früher für eher unterdurchschnittlich intelligent, weiß man heute: Der Neandertaler war den modernen Menschen seiner Zeit kulturell und intellektuell ebenbürtig. Zahlreiche Funde stützen diese Erkenntnis. So wurden Faustkeile, Schaber und Messer aus Stein entdeckt, die auf ausgefeilte technische Fähigkeiten schließen lassen. Als sensationell gilt ein Fund, der belegt, dass Neandertaler schon Pech aus Birkenrinde gewannen und als Klebstoff nutzten. Von den Knochen aus dem Leinetal versprechen die Forscher sich noch einiges: Alfred Czarnetzki will per DNA-Analyse mehr über die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Neandertalern und heutigen Menschen herausfinden. Bis zum Ende der Untersuchungen bleiben die Knochen nur Experten zugänglich. Stephan Veil aber hofft, dass die Schädelstücke später einmal im Landesmuseum Hannover zu sehen sein werden.