Beim ersten Treffen als Regierungschefs zeigten Carstensen und Scholz, dass die Chemie zwischen ihnen nicht stimmt
Quickborn. Schleswig-Holstein hat seine Pläne für einen Nordstaat mit Hamburg auf Eis gelegt. "Die Zeit ist einfach noch nicht reif für einen solchen Schritt", sagte Kiels Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) beim Norddeutschen Unternehmertag gestern in Quickborn. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) nickte, ging auf einen Nordstaat mit keinem Wort ein und kündigte wie Carstensen lediglich an, dass Hamburg und Schleswig-Holstein ihre Zusammenarbeit fortsetzen wollten.
"Beide Regierungschefs haben ein klares Bekenntnis zur Nachbarschaft abgelegt", lobte der Präsident der Unternehmensverbände Nord (UV Nord), Uli Wachholtz. "Hamburgs neuer Bürgermeister sieht mittlerweile ein, wie wichtig die Zusammenarbeit im Norden ist." Viele der 350 Wirtschaftsvertreter zogen nach dem ersten gemeinsamen Auftritt von Scholz und Carstensen dagegen lange Gesichter, weil die Regierungschefs sich nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigten. "Scholz ist dafür einen Schritt nach vorn gegangen, Carstensen dagegen zwei zurück."
Die Messlatte hatten Hamburgs früherer Bürgermeister Ole von Beust (CDU) und Carstensen vor gut drei Jahren sehr hoch gelegt. In Norderstedt hatte der Hamburger sofort eingewilligt, als der Schleswig-Holsteiner eine Zwei-Länder-WG anbot, die vielleicht auf dem Standesamt ende. In Quickborn bemühte Carstensen erneut das Bild von der Wohngemeinschaft, tadelte den "neuen Mieter" Scholz nur kurz und freundschaftlich dafür, dass er die norddeutsche Kooperation in seiner Regierungserklärung mit keiner Silbe erwähnt habe. "Das mag daran liegen, dass bei euch die Regierungserklärungen etwas kürzer sind."
Scholz schmunzelte, wohl auch darüber, wie geschickt Carstensen seinen Partei- und Fraktionschef Christian von Boetticher überging, der den neuen Bürgermeister im Abendblatt direkt angegangen war ("Hamburg sitzt auf hohem Ross"). Der Ministerpräsident gestand Scholz zudem zu, dass er sich erst mal einarbeiten müsse. Der neue Mitbewohner bekomme die erforderliche Zeit, um sein eigenes Zimmer in Ruhe einzurichten, so Carstensen. "Anschließend reden wir dann über die Aufgabenverteilung in unserer WG."
Als Beispiel nannte Carstensen nur einige kleinere Projekte, etwa eine gemeinsame Wirtschaftsförderung beider Länder, etwa bei der Investitionsbank in Kiel. "Wir sollten möglichst viel gemeinsam erledigen." Danach könne man schauen, ob eine Länderfusion "überhaupt neue Perspektiven" biete. Im Moment, bremste Carstensen, sehe er bei den Menschen in beiden Ländern keine Mehrheit für einen Nordstaat. Scholz nahm die Steilvorlage auf, erinnerte wie Carstensen daran, dass Hamburg und Schleswig-Holstein enger zusammenarbeiten als irgendwelche anderen Bundesländer. "Wir werden die Kooperation fortsetzen." KonkreteVorhaben nannte Scholz nicht, machte aber deutlich, dass Projekte wie etwa die Elbvertiefung zum Wohle des gesamten Nordens seien.
Anders als sein Vorgänger Christoph Ahlhaus (CDU) und insbesondere von Beust konzentrierte Scholz seinen Blick auf die Metropolregion. "Wir haben politisch beschlossen, dass es mit der S 4 was wird." Vom Ausbau der S-Bahn-Linie profitieren vor allem die Pendler. Für die Schleswig-Holsteiner jenseits des Hamburger Umlands hatte Scholz keine Botschaft parat, nur den allgemeinen Hinweis, dass die Kraft der Hansestadt als Zentrum auf ganz Norddeutschland strahle. "Hamburg ist die größte Industriestadt Europas."
Eine Chance für Hamburg sieht Scholz in dem geplanten FehmarnbeltTunnel, der eine Großregion mit Kopenhagen und einigen schwedischen Städten ermögliche. "Wir hoffen, dass das Projekt zügig vorankommt." Carstensen nickte, konnte aber in Quickborn nicht verbergen, dass "die Chemie" mit Scholz noch nicht so stimmt.
Der Bürgermeister revanchierte sich, kündigte an, dass er auf dem nächsten Unternehmertag vor dem Kollegen aus Kiel sprechen möchte, dem Ministerpräsidenten "who ever". Scholz spielte damit auf die Landtagswahl im Mai 2012 an, zu der Carstensen nicht mehr antritt. CDU-Spitzenmann ist von Boetticher, für die SPD kandidiert Kiels Oberbürgermeister Torsten Albig. "Enttäuscht" vom Auftritt der beiden Regierungschefs zeigte sich der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Hans Heinrich Driftmann. Wichtige Projekte, etwa ein Hochschulcampus Nord oder die Zukunft der Unikliniken in Hamburg, Kiel und Lübeck, lägen brach.
In Hamburg und Schleswig-Holstein gebe es einfach zu viele Politiker, "die sich überschaubare Gestaltungsräume wünschen", meinte der frühere UV-Nord-Präsident, der seit Jahren für einen Nordstaat wirbt. Er hofft nun darauf, dass beide Länder ob ihrer leeren Kassen zueinanderfinden.
"Die Not wird es richten." Driftmann empfahl vor allem Scholz, mehr für die Zusammenarbeit zu tun. "Hamburg ist eine wunderschöne Stadt, aber kein Sonderbiotop."