Hannover (dpa/lni). Hasskriminalität kann potenziell fast jeden treffen - und viele haben Angriffe aus Vorurteilen schon mal erlebt. Was macht das mit den Menschen?
Unter Hasskriminalität wie Beleidigungen, Diskriminierung oder sogar Körperverletzungen leiden einer neuen Studie zufolge oft nicht nur einzelne Menschen, sondern ihr gesamtes Umfeld. „Es soll eine ganze Gruppe verunsichern - und das tut es auch“, sagte der Leiter der Studie „Hass in der Stadt“ des Landeskriminalamts Niedersachsen, Alexander Gluba, der Deutschen Presse-Agentur. Die Gewalt habe etwas Zufälliges und könne potenziell jeden treffen. Menschen könnten die entscheidenden Merkmale, die den Hass auslösten, nicht ablegen - etwa Hautfarbe oder Geschlecht. Diese Merkmale seien „unveränderbar und identitätsstiftend“, erklärte der Soziologe Lukas Boll.
Der Studie zufolge gaben 37,5 Prozent der betroffenen Befragten an, dass Dritte durch sogenannte vorurteilsmotivierte Taten verängstigt wurden. Besonders hoch war deren Anteil unter jüdischen Menschen (58,8 Prozent) und Menschen mit queerer Geschlechtsidentität (59,3 Prozent). Von 2012 bis 2022 gab es der Untersuchung zufolge in Niedersachsen 7837 Fälle von Hasskriminalität, vor allem mit fremdenfeindlichem, antisemitischem, ausländerfeindlichem oder rassistischem Hintergrund.
Für die nicht repräsentative Studie wurden zwischen Februar und April 2022 per Zufallsstichprobe 50.000 Menschen in Hannover angeschrieben, 7411 verwertbare Antworten gingen ein. Außerdem wurden einige besonders stark betroffene Gruppen gesondert angesprochen, darunter jüdische Menschen, Sinti und Roma, queere Menschen und Mandatsträger. Es handele sich um eine der größten Studien zu Hasskriminalität in Deutschland, sagte Boll. Die Ergebnisse dürften in anderen Großstädten ähnlich ausfallen.
Die Studie ergab, dass 43,3 Prozent der Befragten in ihrem Leben schon einmal Opfer von Hasskriminalität geworden waren, etwa die Hälfte der Befragten gab an, dass Familienmitglieder und der Freundeskreis betroffen waren. Ziel der Studie sei gewesen, das „als groß vermutete Dunkelfeld bei vorurteilsgeleiteten Straftaten und Diskriminierung zu untersuchen und dadurch aufzuhellen“, sagte Gluba.
Wer das Opfer von Hasskriminalität geworden ist, vermeidet es der Studie zufolge wesentlich häufiger, öffentlich über seine Identität zu sprechen - vor allem im Nahverkehr oder auf der Straße und im Park: Insgesamt 35 Prozent der Betroffenen erklärten, in bestimmten Situationen nicht offen über ihre Identität zu sprechen, vor allem bei jüdischen Menschen war der Anteil hoch. Dagegen waren es unter Menschen, die Tatopfer ohne Vorurteilsmotiv wurden oder gar nicht betroffen waren, deutlich weniger - nämlich 14,6 Prozent beziehungsweise 15,4 Prozent.
Insgesamt 15,7 Prozent der Opfer von Hasskriminalität gaben an, schon einmal umgezogen zu sein, einen Umzug vorzubereiten oder zu erwägen, weil sie sich wegen ihrer Identität nicht mehr sicher fühlten. Unter den Tatopfern ohne Vorurteilsmotiv waren es 3,6 Prozent, unter den Befragten, die gar nicht betroffen waren, 2,9 Prozent. „Mich hat am meisten bewegt, wie groß der Abstand ist“ betonte Gluba.
Erschreckend sei das Anzeigeverhalten - aber auch das „überrascht mich nicht“, betonte er. Vier von fünf Menschen zeigen der Befragung zufolge Taten rund um Hasskriminalität nicht an. Viele gaben demnach als Grund an, die Tat nicht als so schwerwiegend angesehen zu haben - andere gingen davon aus, dass es „nichts bringt“, die Polizei den Fall ohnehin nicht aufklären könne oder sie wollten das Erlebnis vergessen. Gluba sprach von einer „gewissen Art der Resignation“ - und mahnte: „Was uns nicht angezeigt wird, können wir nicht verfolgen.“
Es gab aber auch positive Erkenntnisse: Wurden unbeteiligte Dritte Zeuge eines Falles von Hasskriminalität, setzten sie sich nach Angaben von 46,9 Prozent der Betroffenen mit Worten oder sogar körperlich für die Opfer ein. Ziel müsse sein, die Zivilcourage zu stärken, sagte Boll. Studienleiter Gluba kündigte an, mit Vertretern der „vulnerablen Gruppen“ sprechen zu wollen und diese möglichst zu stärken, andere müssten sensibilisiert werden: „Es braucht viel Aufklärung.“ So habe es am 8. Mai einen Workshop von Justiz, Polizei, Stadt Hannover und Opferhilfeeinrichtungen gegeben.