Goslar. Wer zu schnell fährt, dem drohen mitunter Punkte in Flensburg. Praktisch, wenn dann Bekannte oder gar Dienstleister die Punkte auf sich nehmen. Wegen einer gesetzlichen Grauzone kann das funktionieren - bisher.
Für ein paar Hundert Euro Punkte in Flensburg einfach auf eine andere Person abschieben - ist das in Ordnung? Nein, meinen viele Experten. Doch wie das Vorgehen verhindert werden kann, darüber gehen die Meinungen auseinander. Beim Verkehrsgerichtstag in Goslar wird ab dem 24. Januar über einen möglichen neuen Straftatbestand für diesen Punktehandel debattiert.
„Das ist eine irre Sauerei“, sagt Siegfried Brockmann, der die Unfallforschung beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft leitet. Die Möglichkeit des sogenannten Punktehandels nutze vor allem Menschen, die bereits viele Punkte haben - und denen der Entzug der Fahrerlaubnis für mindestens ein halbes Jahr droht. Die Punkte seien gegen diese Menschen bisher die wirksamste Methode.
Ein neuer Straftatbestand könnte nach Ansicht von Brockmann den Druck auf die Täter erhöhen. Dass dem Punktehandel so allerdings wirklich Einhalt geboten werden kann, zweifelt er an. Schließlich müsste die Straftat erst einmal entdeckt werden. Etwa durch eine sehr zeit- und personalaufwendige Überprüfung von vermeintlichen Täterangaben.
So läuft der Punktehandel ab
Denn bisher spielt es sich oft so ab: Die Polizei sendet einen Brief an den Halter eines geblitzten Fahrzeuges, weil der Fahrer oder die Fahrerin nicht zweifelsfrei erkennbar ist. Ein Dritter meldet sich daraufhin bei der Polizei und gibt an, am Steuer gesessen zu haben, wie der Leiter der Juristischen Zentrale beim Allgemeinen Deutschen Automobil-Club (ADAC), Markus Schäpe, erklärt. Bei dem Dritten kann es sich um einen Bekannten handeln oder eben eine Person, deren Dienst über entsprechende Firmen im EU-Ausland online gekauft werden kann.
Das Problem: Da der vermeintliche Fahrer sich selbst bei den Behörden meldet und nicht vom tatsächlichen Fahrer angegeben wird, werden Straftatbestände umschifft. Rechtlich handelt es sich damit nämlich nicht um eine falsche Verdächtigung. Auch das Vortäuschen einer Straftat greift nicht, da es sich bei den entsprechenden Verkehrsdelikten nur um Ordnungswidrigkeiten handelt. Wenn der Schwindel entdeckt wird, bleibt es nur bei der Ahndung des Verkehrsverstoßes, sagt Schäpe. Bußgeldstellen fehle die rechtliche Handhabe, um die Vergehen weiter zu verfolgen und beispielsweise anzuzeigen. Hier schaffe ein Straftatbestand Abhilfe - allein schon als Drohkulisse.
Keine belastbaren Zahlen
Wie oft genau der Punktehandel betrieben wird, dazu gibt es laut Schäpe keine belastbaren Zahlen. Es komme allerdings immer mal wieder vor. Autofahrer, die kurz davor sind, ihren achten Punkt zu bekommen, dürften zu den Menschen gehören, die am ehesten auf das System zurückgreifen. Bei acht Punkten wird die Fahrerlaubnis entzogen, frühestens nach Ablauf von sechs Monaten darf eine neue erteilt werden. Laut dem ADAC-Justiziar erreichen jährlich etwa 5000 Menschen diese Schwelle. „Das sind die Unbelehrbaren, die eine große Gefahr für die Verkehrssicherheit darstellen“, sagt Schäpe.
Die Gewerkschaft der Polizei plädiert dafür, dass die Gesetzeslücke unverzüglich geschlossen wird. Verkehrsunfälle seien keine Nebenwirkung des Straßenverkehrs, „sondern fast immer Folgen eines vermeidbaren menschlichen Fehlverhaltens“. Überhöhte Geschwindigkeit, Ablenkung durch Handys und Fahren unter Alkohol- oder Drogeneinfluss ließen sich nur durch ausreichende Kontrollen und wirksame Sanktionen eindämmen.
Der Automobilclub von Deutschland hält die aktuelle Rechtslage hingegen für ausreichend. Falschaussagen würden durchaus auffallen und es gebe dann genügend Mittel, um gegen die Täter vorzugehen. Der Autoclub rät Menschen, denen ein Punkt droht, lieber einen Anwalt zu nehmen. Diese Ansicht vertritt auch der Deutsche Anwaltverein. Bisher gibt es laut dem Anwaltsverein verschiedene Gerichtsurteile zum Punktehandel. Es bestehe daher durchaus die Möglichkeit, dass Strafverfahren gegen Menschen eingeleitet werden, die versuchen, Bußgeldbehörden auszutricksen. Zudem könnten auch beispielsweise Fahrtenbuchauflagen verhängt werden - selbst wenn der Punktehandel selbst nicht bestraft wird.
Weniger Delikte mit Punkten geahndet
2022 wurden in etwa 4,1 Millionen Fällen Punkte an Autofahrer wegen Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten verteilt, wie aus dem Fahreignungsregister des Kraftfahrtbundesamtes hervorgeht. Demnach ist die Zahl seit 2019 beständig gesunken. Damals waren es noch rund 4,7 Millionen Fälle. Meistens erhalten Autofahrer und Autofahrerinnen Punkte für Ordnungswidrigkeiten und nicht im Zusammenhang mit Straftaten: 2022 circa 3,9 Millionen Mal.
Ein bekanntes Beispiel für ein Vergehen, das mit Punkten geahndet werden kann, ist überhöhte Geschwindigkeit. 2.453.000 Mal wurden Menschen in Deutschland 2022 geblitzt. Die Zahl ist in den vergangenen Jahren zurückgegangen. 2019 waren es noch etwa 3 Millionen Fälle.
Ein anderes Beispiel ist Alkohol am Steuer. Hier wurden im Jahr 2022 117.000 Verstöße festgestellt, wie das Kraftfahrtbundesamt mitteilte. Auch diese Zahl war in den vergangenen Jahren relativ stabil: 2019 wurden 116.000 Fälle registriert.