Hannover (dpa/lni). Die Zahl der Flüchtlinge in Niedersachsen hat sich seit 2015 mehr als verfünffacht - und in den nächsten Wochen werden Tausende weitere erwartet. Land und Kommunen sehen sich am Ende ihrer Möglichkeiten und rufen EU und Bund zu einer schärferen Migrationspolitik auf.
Angesichts von immer mehr Schutzsuchenden in Niedersachsen sieht Innenministerin Daniela Behrens das Land an der Grenze seiner Aufnahmefähigkeit. Mittlerweile lebten mehr als 250.000 Geflüchtete im Land und damit rund fünf Mal so viele wie noch 2015, sagte die SPD-Politikerin am Montag nach einem Treffen mit den Kommunalverbänden in Hannover. Deutschland und die EU müssten die Einreise von Migranten daher stärker beschränken.
„Dieser Zuwachs, den wir seit 2015 erleben, ist auf Dauer, glaube ich, der Gesellschaft nicht zuzumuten“, sagte Behrens. Zwar sollten weiter alle Menschen willkommen geheißen werden, allerdings brauche es dringend eine „Steuerung und Begrenzung“ der Migration.
Behrens unterstützte daher eine Ankündigung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), stationäre Kontrollen an der Grenze zu Polen und Tschechien zu prüfen. Zudem nahm sie die osteuropäischen EU-Länder in die Pflicht, sich ebenfalls um Asylsuchende zu kümmern und diese nicht nur durchziehen zu lassen nach Deutschland. „Ich erwarte, dass wir die Ost-Route schließen“, sagte die Ministerin. Sie betonte aber auch: „Das politische Asylrecht ist unantastbar in Deutschland.“
Seit dem Sommer ist die Zahl der Neuankömmlinge in Niedersachsen auf rund 1300 bis 1600 pro Woche gestiegen. „Wenn das so weitergeht, dann werden wir am Ende des Jahres locker die 30.000 reißen“, prognostizierte Behrens für das Gesamtjahr. Damit läge der Wert noch deutlich unter dem von 2015, als besonders viele Migranten nach Deutschland kamen: Damals stellten rund 102.000 Menschen in Niedersachsen einen Asylantrag. Von Anfang Januar bis Mitte September 2023 kamen im Vergleich dazu erst rund 19.000 Asylsuchende.
Die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sind in diesen Zahlen jedoch nicht enthalten, weil sie kein Asyl beantragen müssen. Seit Februar 2022 kamen rund 111.000 Ukrainer nach Niedersachsen.
Derzeit schaffe es das Land noch, den Asylsuchenden ein Dach über dem Kopf zu geben, sie zu registrieren, ihre Identität zu erfassen und sie medizinisch zu versorgen, sagte Behrens. Allerdings werde die Suche nach Unterkünften immer schwieriger - auch, weil derzeit das Messegelände in Hannover mit 3000 Plätzen nicht genutzt werden kann.
„Wir fahren alle unsere Standorte aufs Maximale gerade hoch. Es ist überall sehr eng und sehr voll“, sagte Behrens. Auch winterfeste Zelte sollen an den Ankunftszentren aufgestellt werden. Dennoch müssten wieder mehr Geflüchtete auf die Städte verteilt werden. Die Aufnahmequoten der Kommunen werden daher zum 1. Oktober angehoben.
Der Präsident des Niedersächsischen Städtetags, Salzgitters Oberbürgermeister Frank Klingebiel (CDU), sagte, viele Kommunen seien am Limit. Schon Ende 2022 seien Sporthallen, Stadthallen und Kinder- und Jugendtreffs mit Ukrainern und Asylsuchenden belegt worden.
„Integration war im letzten Jahr schon überhaupt kein Thema mehr. Kitas und Schulen sind einfach voll“, sagte Klingebiel. „Das oberste Ziel muss es sein, den sozialen Frieden in den Stadt- und Gemeindegesellschaften zu erhalten.“ Anderenfalls drohe die Akzeptanz für die Flüchtlingsaufnahme zu sinken.
Sven Ambrosy als Präsident des Landkreistages (NLT) appellierte an den Bund, schnell mehr Geld zur Verfügung zu stellen, um die Unterbringung der Flüchtlinge zu gewährleisten. Der Präsident des Städte- und Gemeindebundes (NSGB), Marco Trips, forderte, Deutschland müsse mit Blick auf die hohen Flüchtlingszahlen jetzt Signale setzen, „dass es so nicht weitergeht“.
Der Oppositionsführer im Landtag, CDU-Fraktionschef Sebastian Lechner, forderte von der Landesregierung mehr Unterstützung für die Kommunen. Grenzkontrollen und die Schließung bekannter Fluchtrouten unterstütze die CDU ausdrücklich. „Wir erwarten jedoch, dass sich Frau Behrens innerhalb ihrer eigenen Partei und gegenüber der Bundesregierung endlich durchsetzt“, sagte Lechner.
Die Fraktionschefin der mitregierenden Grünen, Anne Kura, sagte, Flüchtlinge sollten so schnell wie möglich eine Arbeitserlaubnis bekommen. Es müsse Schluss sein damit, einerseits den Zuzug von Arbeitskräften zu fordern, es den hier lebenden Menschen andererseits aber zu erschweren, eine Arbeit aufzunehmen, sagte Kura.