Hannover/Goslar (dpa/lni). Schnelle notärztliche Hilfe am Unfallort per Videoschalte - darauf können Sanitäter im Kreis Goslar seit 2021 zurückgreifen. Inzwischen nutzen fünf niedersächsische Regionen das System. Wie geht es weiter?

Ein Notarzt schaltet sich per Video zu Rettungseinsätzen und gibt lebensrettende Hinweise: Dieses Angebot in Niedersachsen wird ausgebaut. Inzwischen können fünf Landkreise auf den sogenannten Telenotarzt zugreifen, wie das Niedersächsische Innenministerium mitteilte. Künftig soll das bisherige Pilotprojekt im gesamten Bundesland verfügbar sein.

Ziel sei „eine flächendeckende, landesweit einheitliche, rechtssichere und effektive Versorgung“ mit dem System, hieß es. Damit befasse sich eine Strategiegruppe im Innenministerium; ein Gesetzentwurf sei in Arbeit. Geplant sind demnach acht Standorte für den so bezeichneten Telenotarzt, die vernetzt zusammenarbeiten sollen. Bisher kümmert sich der Standort Goslar um die Landkreise Goslar, Northeim, Hildesheim, Emsland und Grafschaft Bentheim.

In den Landkreisen leben zusammen etwa 1,1 Millionen Menschen. Die Rettungsleitstelle Ems-Vechte wird laut Innenministerium derzeit als zweiter Standort des Telenotarztes aufgebaut.

„Gerade in Zeiten des demografischen Wandels bietet der Telenotarzt eine Chance, die Digitalisierung zu nutzen und dem Personalmangel im notärztlichen Bereich zu begegnen“, sagte Innenministerin Daniela Behrens (SPD) kürzlich bei einem Besuch des Telenotarztes in Goslar. Im Entwurf für den Landeshaushalt 2024 und in der Mittelfristige Planung sind für eine Anschubfinanzierung des Projekts 332 000 Euro sowie jährlich 1,8 Millionen Euro veranschlagt.

Seit Beginn des Projektes im Januar 2021 gab es mehr als 4800 Einsätze, bei denen ein Notarzt zugeschaltet wurde. Gesammelte Erfahrungen seien dabei bereits in Verbesserungen eingeflossen, hieß es: Unter anderem gebe es nun eine bessere Vorrichtung zum Tragen des Funksystems am Körper.

Das System habe sich aber von Beginn an bewährt, teilte das Innenministerium mit. In etwa einem Prozent der Fälle müsse die Nutzung wegen technischer Probleme abgebrochen werden, in zwei Prozent der Fälle werde aus medizinischen Gründen ein Notarzt vor Ort hinzugezogen. In den übrigen Fällen werde der gesamte Einsatz über den Telenotarzt abgewickelt.

Ob überhaupt auf den Notarzt über eine Handykamera zurückgegriffen wird, entscheiden die Notfallsanitäter vor Ort. Während des Einsatzes kommuniziert der Sanitäter dann mit dem Notarzt über eine App. Neben dem Telefonat und einem Video-Stream hat der Arzt auch Zugriff auf die Vitalwerte des Patienten.

Grenzen für den Einsatz des Telenotarztes gebe es immer dann, „wenn eine manuelle therapeutische oder diagnostische Fähigkeit eines Arztes am Notfallpatienten notwendig ist“, erklärte eine Sprecherin des Innenministeriums. Gehe es lediglich um eine ärztliche Entscheidung oder Einschätzung, könnte sich auch qualifiziertes, aber nicht-ärztliches Personal wie Sanitäter um die Patienten kümmern.

Ein andere Modellprojekt könnte demnächst ebenfalls in Niedersachsen ausgeweitet werden. Die CDU-Landtagsfraktion in der Opposition hat kürzlich ein Gesetz zur Ausweitung des Gemeinde-Notfallsanitäters angekündigt. So sollen Rettungsdienste entlastet werden. Ein speziell ausgebildeter Rettungssanitäter kann in Notfällen angefordert werden.

Die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen haben sich in ihrem Koalitionsvertrag dafür ausgesprochen und bereits im Juni in einem Entschließungsantrag die Landesregierung aufgefordert, den flächendeckenden Einsatz von Gemeinde-Notfallsanitätern oder gleich qualifizierten Personen zu ermöglichen. Die Regierungsfraktionen setzen dafür allerdings auf gesetzliche Rahmenbedingungen auf Bundesebene.

„Die CDU greift hier ein Thema auf, das von Rot-Grün bereits intensiv bearbeitet wird und auf einem guten Weg ist“, sagte die kommunalpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, Nadja Weippert. Es werde intensiv an der Klärung der Finanzierung gearbeitet. Die Kosten dürften nicht allein bei den Kommunen hängen bleiben.

Um Notärzten den Rücken für lebensrettende Einsätze freizuhalten und Kosten im Rettungswesen zu senken, hatten die Stadt Oldenburg und die Landkreise Ammerland, Cloppenburg und Vechta 2019 das Pilotprojekt gestartet. Beim Start waren pro Standort sechs Notfallsanitäter mit einer Zusatzausbildung unterwegs. Sie werden von der Rettungsleitstelle zu Patienten geschickt, wenn nach dem Notruf 112 klar ist, dass zwar keine Lebensgefahr vorliegt, aber medizinische Hilfe notwendig ist.

In ihrem Entschließungsantrag wiesen SPD und Grüne darauf hin, dass laut unterschiedlichen Studien zwischen 30 und 50 Prozent der Patienten, die die Notaufnahme aufsuchen, aus medizinischer Sicht nicht im Rahmen der stationären Notfallversorgung behandelt werden müssten. Finanziert wird das Projekt von den Krankenkassen. Die Gemeinde-Notfallsanitäter dürfen allein und in kleineren Einsatzfahrzeugen zu Patienten fahren.