Hannover. In einer gemeinsamen Aktion ist die Polizei in Nord- und Ostdeutschland gegen die Verbreitung, den Erwerb und Besitz von Kinderpornografie vorgegangen. Das Ziel: Täter aus der Anonymität holen.
Mit 650 Einsatzkräften ist die Polizei in sieben Bundesländern gegen mutmaßliche Sexualstraftäter vorgegangen. Es handelte sich um die erste Aktion der Norddeutschen Allianz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt an Kindern, wie das Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen mitteilte. Insgesamt seien bis Mittwochmittag mehrere hundert Durchsuchungsbeschlüsse vollstreckt worden. Dabei stellte die Polizei Hunderte Datenträger wie Laptops, PCs und Smartphones sicher, auf denen Kinder- und Jugendpornografie vermutet wird. Festnahmen gab es zunächst nicht.
„Wir haben hier keinen Kinderschänder-Ring ausgehoben, es sind alles Einzeltaten“, sagte Friedo de Vries, Präsident des LKA Niedersachsen, das die Federführung innehatte. Dem Aktionstag des Nordverbunds (LKA Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern) hatten sich auch Berlin und Brandenburg angeschlossen. Den Angaben zufolge wurden 435 Adressen in den sieben Ländern aufgesucht, überwiegend Privatadressen.
„Sexualisierte Gewalt an Kindern ist unerträglich“, betonte der niedersächsische LKA-Präsident. „Wir wissen, dass Kinder im Durchschnitt sieben Anläufe benötigen, bis sie als Opfer sexualisierter Gewalt gehört werden.“ Auch deshalb sei es wichtig, dass die Polizei geschlossen gegen die Verdächtigen vorgehe. „Mit diesem länderübergreifenden Einsatz haben wir mehrere hundert Täter und Täterinnen aus der Anonymität geholt“, betonte de Vries. Die Verdächtigen sind laut LKA überwiegend männlich.
Laut Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) sind die Fallzahlen im Bereich der Kinder- und Jugendpornografie von 2021 zu 2022 erneut gestiegen. Ein Großteil der Ermittlungen beruht dabei auf Hinweisen des „National Center for Missing and Exploited Children“ (NCMEC), einer US-amerikanischen Organisation. Im Jahr 2015 wurden dem Bundeskriminalamt (BKA) etwa 14.500 solcher Fälle aus den USA gemeldet, 2021 waren es schon 78.600 und 2022 sogar 136.500 Hinweise.
In vielen Fällen handele es sich bei dem vom NCMEC übermittelten Beweismaterial um einzelne Fotos oder Videos, die insbesondere durch Jugendliche oder Kinder unbedacht versendet würden, erläuterten die Ermittler. Diese Inhalte dürften auf keinen Fall geteilt werden, warnten die Beamten. Wer sogenannte kinderpornografische Inhalte im Internet oder in sozialen Netzwerken entdecke, solle die Adresse dieser Seite sofort der für den Wohnsitz zuständigen Polizeidienststelle mitteilen. Die Aufklärungsquote in diesem Bereich sei hoch.
„Wir haben die technischen Möglichkeiten, um Täter zu ermitteln und zu bestrafen“, betonte Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD). Kritisch bewertete sie aber den Umstand, dass Deutschland in vielen Fällen darauf angewiesen sei, Beweismaterial aus den USA zu erhalten. „Wir brauchen hierzulande dringend eine konstruktive Debatte darüber, wie wir zukünftig verhindern, dass von einem gut gemeinten Datenschutz vor allem ein Schutz für die Täterinnen und Täter übrig bleibt“, gab sie zu bedenken.
In Niedersachsen vollstreckten 300 Einsatzkräfte insgesamt 214 Durchsuchungsbeschlüsse der Justiz, aufgeteilt auf die Polizeidirektionen Hannover, Braunschweig, Göttingen, Osnabrück, Oldenburg und Lüneburg. Es seien allein in Niedersachsen mehr als 600 Asservate sichergestellt worden, sagte Carsten Reinhardt, der im LKA in Hannover für den Bereich Kinderpornografie zuständig ist. Die beschlagnahmten Datenträger würden jetzt ausgewertet. Daraus können sich laut LKA weitere Ermittlungsansätze ergeben. In Bremen und Bremerhaven wurden insgesamt 18 Durchsuchungsbeschlüsse vollstreckt. Elf Beschuldigte wurden erkennungsdienstlich behandelt.
156 der Tatverdächtigen in Niedersachsen sind Erwachsene, 49 im Jugendalter. Wie viele Frauen darunter sind, konnte das LKA zunächst nicht sagen. „Grundsätzlich können Sie davon ausgehen, dass die Anzahl der weiblichen Tatverdächtigen deutlich geringer ist als die von männlichen“, sagte Reinhardt. Nach Angaben der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) findet in etwa 80 bis 90 Prozent der Fälle durch Männer und männliche Jugendliche statt.