Hannover (dpa/lni). Für die Landesarmutskonferenz Niedersachsen ist die Tendenz bedrohlich: Die Inflation steigt, die Energiekosten wachsen massiv - wird das eine Zerreißprobe für die Gesellschaft? Die Zahlen der Statistiker zur Armutsgefährdung sind ziemlich deutlich.
Die Landesarmutskonferenz Niedersachsen hat angesichts steigender Inflation und explodierender Energiekosten vor einer dauerhaften sozialen Schieflage gewarnt. Die Tendenz für die nächste Zeit sei bedrohlich, sagte der Geschäftsführer der Landesarmutskonferenz, Klaus-Dieter Gleitze, am Donnerstag. «Die Zerreißprobe für unsere Gesellschaft liegt nicht nur im materiellen Wohlstandsverlust breiter Schichten und der Ausbreitung von Massenarmut. Die ständigen, sich verstärkenden Krisen ohne absehbare Aussicht auf Besserung verstärken auch die psychischen Belastungen», sagte er.
Nach Angaben des niedersächsischen Landesamts für Statistik nahm die Gefahr der Altersarmut in der Corona-Pandemie zu: 2021 waren demnach 17,9 Prozent der Menschen über 65 Jahre von Armut gefährdet, 2019 waren es früheren Angaben zufolge noch 15,4 Prozent. Im Alter über 65 Jahren waren 2021 vor allem Frauen (20,2 Prozent) von Armut bedroht, unter den Männern waren es 15,2 Prozent. Unabhängig vom Alter lag die Armutsgefährdung 2021 im Landesdurchschnitt bei 16,8 Prozent. Das ergibt sich aus der aktuellen Ausgabe des Statistikteils der Handlungsorientierten Sozialberichterstattung.
Überdurchschnittlich armutsgefährdet waren aber nicht nur Senioren, sondern auch Kinder und Jugendliche (21,0 Prozent) und junge Erwachsene bis 25 Jahre (24,8 Prozent). Auf existenzsichernde Hilfen des Staates waren im ersten Corona-Jahr 2020 insgesamt 684 861 Menschen in Niedersachsen angewiesen - und damit 0,7 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Der Anteil an der Bevölkerung nahm um 0,1 Prozentpunkte auf 8,6 Prozent zu. Als armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des monatlichen Nettoeinkommens vergleichbarer Haushalte zur Verfügung hat.
Gleitze warnte, 60 Prozent aller Haushalte würden absehbar ihr gesamtes Einkommen für den Lebensunterhalt ausgeben müssen und könnten keine Rücklagen für Notsituationen bilden. Arme und zunehmend auch Menschen mit normalen Einkommen stünden angesichts des Winters mit extremen Energiekosten vor der Frage, wie lange das Geld im Monat für Ernährung reiche. Dies produziere Ängste und Aggressionen und sei ein idealer Nährboden für Rechtspopulisten.
Die Landesarmutskonferenz forderte die vollständige Stromkostenübernahme bei Hartz IV und Grundsicherung durch die Jobcenter, einen Gaspreisdeckel für eine Energiegrundsicherung, höhere Hartz-IV-Regelsätze und Grundsicherung, einen nationalen Aktionsplan zur Armutsbekämpfung und eine Übergewinnsteuer. Superreiche sollten zudem an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligt werden - per Vermögensabgabe.
© dpa-infocom, dpa:220901-99-592646/3 (dpa)