Hannover. Kindergärten sind wichtig, da sind sich alle einig. Aber wie kann man die Arbeit dort verbessern? Da gehen die Meinungen auseinander. Kritiker des Entwurfs eines neuen niedersächsischen Kita-Gesetzes fordern vor allem eines.

Mehr Zeit für Kinder: Ein Bündnis aus Eltern, Kirchen, Gewerkschaften und Wohlfahrtspflege hat den Entwurf für ein neues Kita-Gesetz in Niedersachsen massiv kritisiert. Entscheidend sei, das Verhältnis von Kindern und Fachkräften deutlich zu verbessern, forderte das Bündnis am Dienstag. Der im November vorgelegte Entwurf bleibe weit hinter den Herausforderungen zurück.

Ziel sei, über einen mehrjährigen Stufenplan eine dritte Fachkraft in Kindergartengruppen einzuführen. Dass dies im Entwurf nicht auftauche, "frustriert zutiefst", sagte Hans-Joachim Lenke, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege und Vorstandssprecher der Diakonie in Niedersachsen. Die "fatale Auswirkung" des Gesetzes wäre aus seiner Sicht: "Es schreibt im Prinzip einen Mangel fest." Ein besserer Personalschlüssel bedeute mehr Zeit für Kinder, betonte Martina Ernst vom Vorstand des Bündnisses für Kinder und Familien.

Bislang seien zwei Fachkräfte für 25 Kinder zuständig, erklärte sie. "Den Fachkräften wird keine Zeit gegeben, zu tun, was sie gelernt haben." Neben der dritten Fachkraft forderte das Bündnis mehr Zeit für Leitungsaufgaben sowie für die Zusammenarbeit mit Eltern und die Sprachförderung. Außerdem solle der Anspruch auf einen integrativen Platz für Kinder mit Behinderungen im Gesetz verankert werden.

Die Landesregierung gab den Entwurf am Dienstag bei der Kabinettssitzung zur Einbringung in den Landtag frei. Ziel sei es, dass er möglichst zum 1. August 2021 in Kraft trete. Mit dem neuen Gesetzentwurf sollten aktuelle Qualitätsstandards und die dauerhafte Finanzierung der Kindertagespflege landesgesetzlich festgeschrieben werden.

Rufe nach einer dritten Kraft, die das Land finanzieren soll, gibt es seit Jahren - laut Koalitionsvertrag von SPD und CDU sollte dies mit einem Stufenmodell erreicht werden. Die Kritiker mahnten, nur ein "angemessener Fachkräfte-Kind-Schlüssel" könne zu "längst überfälligen Qualitätsverbesserungen in Kindertageseinrichtungen führen". Die kommunalen Spitzenverbände treibe allerdings die Sorge um, auf den Kosten sitzenzubleiben, erklärte Detlef Ahting, Verdi-Landesbezirksleiter Niedersachsen-Bremen.

Der Niedersächsische Städtetag (NST) und der Niedersächsische Städte - und Gemeindebund (NSGB) reagieren deshalb auch mit Unverständnis auf die Kritik der Sozialverbände. Zwar sei die Forderung nach Erhöhung des Personalschlüssels in den Kindertagesstätten fachlich nachvollziehbar. Sie sei aber aktuell nicht finanzierbar und aufgrund des Fachkräftemangels auch nicht umsetzbar.

"Auch die Sozialverbände müssen die Tatsache anerkennen, dass der Arbeitsmarkt schon jetzt den Fachkräftebedarf nicht decken kann, und wir es daher nicht einmal schaffen, alle Kindergartengruppen mit zwei Betreuungskräften zu versorgen", so NST-Hauptgeschäftsführer Jan Arning. "Die Forderung nach einer Erhöhung des Personalschlüssels ist derzeit realitätsfern."

In dem Entwurf heißt es, während der Kernzeit müssten je Gruppe mindestens zwei pädagogische Fachkräfte "regelmäßig tätig sein". Abweichend dürften es eine pädagogische Fachkraft und eine pädagogische Assistenzkraft sein - oder eine Helferin beziehungsweise ein Helfer anstelle der Assistenz.

Die stufenweise Einführung der dritten Kraft in Krippengruppen war nach Ernsts Einschätzung der bisher "einzige Qualitätsschritt". Nach Angaben des Bündnisses war als nächster Schritt die Einführung einer dritten Fachkraft auch in Gruppen für Drei- bis Sechsjährige geplant. Dies sei auf 2025 verschoben worden - "und wird nun gar nicht mehr benannt". Lenke beklagte: "Was uns wirklich erschreckt hat, war die Perspektivlosigkeit dieses Gesetzes."

Ahting warnte auch vor Fachkräftemangel: Jede vierte Fachkraft gebe den Beruf nach vier Jahren Ausbildung schon in den ersten drei bis fünf Jahren auf. Das sei "volkswirtschaftlicher Irrsinn". Lenke sagte: "Wir können nicht so schnell ausbilden, wie der Beruf wieder verlassen wird."

Laut einer im August 2020 vorgelegten Studie der Bertelsmann Stiftung wird mehr als die Hälfte der niedersächsischen Kita-Kinder nicht ausreichend betreut. Für rund 64 Prozent der Kinder in amtlich erfassten Kita-Gruppen stand demnach nicht genügend Fachpersonal zur Verfügung, von allen erfassten Kita-Gruppen waren 78 Prozent zu groß. In Niedersachsen gibt es rund 5600 Kindertageseinrichtungen.

Kita-Leiterinnen des Bezirksverbands Hannover der Arbeiterwohlfahrt forderten in Briefen an Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD), das neue Gesetz müsse sich am "realen Kita-Leben vor Ort" ausrichten. Dies gelte "besonders an Brennpunkten", schrieb Gulay Önder, Leiterin der Kita Kaltenmoor in Lüneburg.

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