Salzgitter. Jana Kühl hat gerade ihre Stelle an der Ostfalia Hochschule in Salzgitter angetreten und wirbt für neue Verkehrskonzepte.
In Sachen Fahrrad können wir noch viel lernen. Davon ist Jana Kühl überzeugt. Als bundesweit erste Professorin für Radverkehrsmanagement will sie das Bewusstsein für Zweiräder stärken und für ein besseres Miteinander auf den Straßen werben. Mit gerade 35 Jahren ist Jana Kühl die bundesweit erste Professorin für diesen Themenkomplex. Seit wenigen Tagen ist sie vereidigt und hat an der Ostfalia Hochschule am Standort Salzgitter ihre Arbeit aufgenommen. Sie beschäftigt sich damit, wie der Straßenverkehr mit Fahrrädern besser organisiert werden kann. Da sieht die Professorin deutlichen Handlungsbedarf in Deutschland, wenngleich sie keinesfalls der Auffassung ist, dass der Autoverkehr in Ballungszentren verboten werden sollte.
Jana Kühl ist selbst gerne mit dem Rad unterwegs, weil man auf dem Fahrrad offener und unmittelbarer mit der Umgebung in Kontakt tritt. Sie besitzt fünf Räder für verschiedene Alltagssituationen.
Was muss in Sachen Radverkehr in diesem Land passieren?
Jana Kühl: Wir können viel lernen von anderen Ländern und Städten. Die klassischen Beispiele wie Kopenhagen oder die Niederlande sind schon viel weiter in der Radverkehrsförderung. Es wäre eine vertane Chance, dort nicht hinzuschauen, wie es funktionieren kann. Spannend ist auch, dass sich in Südeuropa viele Städte auf den Weg machen, die bisher gar nichts oder wenig mit Radverkehr zu tun hatten. Paris ist sehr häufig in den Medien, da passiert enorm viel. In Madrid wurden Zonen geschaffen, in denen Radverkehr vorangetrieben wird. Da beginnt ein Umstieg.
Inwiefern?
In der Corona-Zeit ist doch die Nachfrage nach Fahrrädern immens gestiegen. Das ist erstmal klasse. Aber damit die Radelnden dauerhaft dabei bleiben, müssen sie die Erfahrungen machen, dass das richtig gut funktioniert und Laune macht. Ansonsten ist die Gefahr groß, dass sie zurück ins Auto steigen.
Wie ist Deutschland aufgestellt?
Wir sind nicht völlig schlecht. In den letzten Jahren hat sich schon etwas getan. Es ist nicht so, dass der Radverkehr gar nicht mitgedacht wurde. Der Autoverkehr hat aber noch Dominanz. In den Niederlanden wird beispielsweise über alle Schichten und Milieus hinweg das Fahrrad völlig selbstverständlich genutzt. Bei Maßnahmen muss dort keine Grundsatzdiskussion geführt werden, ob diese überhaupt Sinn machen. Das ist dort schon überwunden.
Was ist Ihre Botschaft?
Radverkehr funktioniert nicht, ohne Fußverkehr und den ÖPNV mitzudenken. Und es geht nicht darum, Autos zu verbieten. Aber viele Wege können ohne weiteres mit dem Fahrrad zurückgelegt werden. Da ist auch der Weg zum Bäcker mit drin. Dafür brauchen wir das Bewusstsein und die Möglichkeiten, das Radfahren anständig funktioniert. Das ist die große Aufgabe. Wir müssen es irgendwie schaffen, den Autoverkehr und die Emissionen zu reduzieren.
Hilft da nicht E-Mobilität?
Ja, aber Elektroautos sind erst einmal eine Behelfslösung. Sie lösen nicht alle unsere Probleme. Es ist nicht so, dass E-Autos komplett grün sind. Wir verlagern die Emissionen und die Umweltprobleme, indem wir E-Autos benutzen. Wir brauchen weiterhin Alternativen. Dazu gehört das Fahrrad.
Wo ist ein Umdenken nötig?
Wenn Großunternehmen sich öffentlichkeitswirksam für den Radverkehr einsetzen würden und mehr Mitarbeiter mit dem Rad fahren. Das hätte natürlich Symbolwirkung. Darüber hinaus sehe ich aber auch noch einen gesellschaftlichen Konflikt, dass viele Autofahrerinnen und Autofahrer Angst haben, ihnen wird etwas weggenommen. Ich habe das Gefühl, dass sich die Fronten da gerade zu verhärten drohen. Das müssen wir in Griff kriegen.
Gibt es positive Beispiele?
Im Ruhrgebiet hat sich zum Thema regionale Radwegenetze viel getan, auch in Städten wie Göttingen mit Velorouten. In Kiel ist eine hochwertige Radschnellverbindung geschaffen worden, die weitgehend ohne Kreuzungen auskommt und stattdessen über Brücken verläuft. Das hat natürlich eine immense Qualität.